Zwei Jahre Syrische Revolution, Deutschland soll Flüchtlinge aufnehmen, EU-Waffenembargo vor Aufhebung? – Netzschau 15. März

Vor genau zwei Jahren, am 15.03.2011, fand der erste Damaszener Protest im zentralen Hamidiye-Markt statt, an den heute auch die Seite „Syrian Nonviolence Movement“ erinnert. Die Worte des Sprechers im Video heißen übersetzt: „Wir sind Sunniten und Alawiten, aus allen Konfessionen Syriens, und wir wollen dieses Regime stürzen. […] Dies ist die erste Erhebung gegen […]

Vor genau zwei Jahren, am 15.03.2011, fand der erste Damaszener Protest im zentralen Hamidiye-Markt statt, an den heute auch die Seite „Syrian Nonviolence Movement“ erinnert. Die Worte des Sprechers im Video heißen übersetzt: „Wir sind Sunniten und Alawiten, aus allen Konfessionen Syriens, und wir wollen dieses Regime stürzen. […] Dies ist die erste Erhebung gegen das syrische Regime.“ Die Menge ruft u.a. „Friedlich, friedlich“ sowie das bekannt gewordene „Gott, Syrien, Freiheit und sonst nichts“. „Syrian Nonviolence Movement“ schreibt: „We salute the men and women who marched in Damascus two years ago today. We salute their nonviolent and inclusive, and incredibly brave, first steps.”

Für den Start der syrischen Revolution gibt es auch die Angabe des 18. März 2011, da an diesem Tag im südsyrischen Daraa die ersten fünf Demonstranten starben. In Solidarität mit Daraa verbreiteten sich die Proteste in den Folgewochen 2011 in Syrien. Heute demonstrieren die Menschen in Syrien immer noch, z.B. im kurdischen Amuda, und versprechen nicht zu weichen. Aus Aleppo kommen wie jeden Freitag tolle Bilder von Protesten. Im Viertel Bustan al-Qasr meinen Demonstranten „Mach die Augen auf! Die Revolution wird vom Volk gemacht.“ und  „Es lebe das freie Syrien – mögen die Handschellen und die Obermacht der Waffen ein Ende nehmen.

Syrer bei Twitter verwiesen im Rückblick auf einen Rapsong vom Sommer 2011, der die Verehrung Assads und Gewaltbereitschaft seiner Getreuen parodieren sollte. So heißt es im Song: „Wir wollen die Zellen füllen und die Maschinengewehre für Assads Nation leeren.“ Weiter beschwört das Lied – als Parodie gedacht – Assad als Demokraten und verteufelt die Verschwörung vom Mars gegen Assads Syrien. Der Inhalt des Liedes hat sich in den letzten zwei Jahren leider in weiten Teilen von Parodie in Wirklichkeit verwandelt.

Rania Abouzeid beschäftigt sich für den New Yorker mit der Gestalt des syrischen Krieges, wie er sich anfühlt und klingt. Sie erinnert an die humanitäre Katastrophe, berichtet über dramatische Szenen in Krankenhäusern, führt Diskussionen, Ängste und Erwartungen von Syrern an. Ferner schreibt sie, dass manche Kämpfer zu dem geworden seien, gegen das sie kämpften und manche im Feind nicht mehr den Menschen sehen würden. Trotz aller Gewalt, allen Sorgen und Rückschlägen existiere immer noch Humor. So schließt Abouzeid: „What is the Syrian war like? It is frightening, bloody, depressing, and sometimes uplifting. It is numbing. It is every human emotion on a heightened level. What does the Syrian war look like? Above all, it looks like the names and faces of the seventy thousand people the United Nations says have been killed in the two years since the uprising began.”

Ein Bericht von Al-Arabiya zeigt Flüchtlinge in der Region Jebel Al-Zawiye/Idlib, die in römischen Ruinen leben. Sie sind vor den Raketen des Regimes geflüchtet und nun dem Wetter fast schutzlos ausgeliefert. Arbeit in der Umgebung gebe es keine. Der bewaffnete Konflikt in Syrien hat neben menschlichem Leid auch zu Schäden an einer Vielzahl archäologischer Stätten geführt, die oftmals wohl nicht zu beheben sein werden. Al-Arabiya erwähnt, dass 748 Moscheen in Syrien ebenfalls zerstört oder beschädigt wurden.

Der deutsche Innenminister Friedrich wurde für seine Weigerung, den Familienzuzug syrischer Flüchtlinge zu gewähren, schon mehrfach gescholten. Wie die WELT schreibt, wird sogar jenen Syrern ein Visum verwehrt, für die Familienmitglieder in Deutschland Unterkunft und Versorgung stellen wollen. Das UN-Flüchtlingskommissariat habe im Dezember an Innenminister Friedrich appelliert, aus humanitären Gründen den Familiennachzug von Syrern zu erlauben. In Deutschland leben ca. 40.000 Syrer. Beim Innenministerium gibt es kein Einlenken. Staatssekretär Schröder teilte Parlamentariern mit, dass  Visa für Angehörige außerhalb der „Kernfamilie“ nur „zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte gewährt werden“. Dazu gehört die Lage in Syrien anscheinend nicht. Viele Abgeordnete und die Evangelische Kirche kritisieren diese Haltung scharf.

Zur Lage des syrischen Militärs berichtet der SPIEGEL, dass Assads Militär von ursprünglich 220.000 Mann Truppenstärke mittlerweile stark dezimiert ist. Laut einem Londoner Institut standen Assad im Herbst 2012 nur noch ca. 100.000 Mann zur Verfügung, verursacht durch Kämpfe, Desertierungen und Demoralisierung. Eigentlich könne sich Assad aber nur noch auf 50.000 Mann von vier Sondereinheiten stützen. In dieser Hinsicht erklärt sich die „Einberufungsfatwa“ vom letzten Wochenende. Dass bei steigender Stärke der Opposition Assads Militär vielleicht auseinanderfällt oder Assad doch zu ernsthaften Verhandlungen bzw. Abtritt bereit ist, scheint die Spekulation einiger europäischer Staaten zu sein. Großbritannien und Frankreich haben in den letzten Tagen angekündigt, Waffen an die Opposition liefern zu wollen. Sie plädieren für die Aufhebung des EU-Waffenembargos für die Opposition, das erst Ende Mai wieder zur Abstimmung steht. Wenn beide Länder beim Veto für eine Verlängerung bleiben, wäre das Embargo Geschichte, schreibt die SZ (Printausgabe). Beide Länder dringen allerdings auf eine vorzeitige Aufhebung, wofür aber alle EU-Staaten einstimmig stimmen müssten. Großbritannien und Frankreich erwägen wohl, trotz Embargo schon Waffen zu liefern. Unklar ist, wie viel an diesen Worten politisches Taktieren ist. Die Nationale Koalition begrüßt die Ankündigungen. Deutschland erklärt derweil, man sei bereit, über Änderungen zu diskutieren. Russland hingegen tobt und der russische Außenminister Lawrow sieht in Waffenlieferungen an die Opposition einen „Bruch des Völkerrechts“. Das internationale Recht erlaube keine Lieferungen an „nicht-staatliche Akteure“.

 


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