Zivile Initiative “Olivenzweig”: Bildung als Alternative

Olivenbäume waren immer schon ein landestypisches Symbol Syriens. Bereits in den frühen Tagen des syrischen Aufstandes wurden sie zu einer Chiffre für den zivilen Widerstand, als nämlich die Demonstrierenden den Regimekräften, die angerückt waren, die Kundgebungen aufzulösen, Olivenzweige und Blumen in die Hand drückten. Das inspirierte eine Gruppe Aktivisten aus Daraa, ihre Initiative Olivenzweig zu nennen. […]

Kinder profitieren am meisten von den Projekten der Initiative, hier in Daraa. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.
Kinder profitieren am meisten von den Projekten der Initiative, hier in Daraa. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.

Olivenbäume waren immer schon ein landestypisches Symbol Syriens. Bereits in den frühen Tagen des syrischen Aufstandes wurden sie zu einer Chiffre für den zivilen Widerstand, als nämlich die Demonstrierenden den Regimekräften, die angerückt waren, die Kundgebungen aufzulösen, Olivenzweige und Blumen in die Hand drückten. Das inspirierte eine Gruppe Aktivisten aus Daraa, ihre Initiative Olivenzweig zu nennen. Diese zielte darauf ab, Raum zu schaffen für die Arbeit der Zivilgesellschaft inmitten einer immer gewalttätiger werdenden Umgebung.

“Wir wollten einen Weg finden, unsere zivilgesellschaftlichen Aktivitäten fortzusetzen, so wie wir es zu Beginn des Aufstandes getan hatten”, sagte einer der Mitbegründer dem Online-Portal Syria Untold. Er war einst Student der Zahnmedizin. Dann wurde er von der Universität suspendiert, weil er an den Protesten des syrischen Frühlings teilgenommen hatte, die seit März 2011 überall im Land aufbrandeten.

“Wir haben viele Freunde verloren, wie zum Beispiel Iyad al-Haj Ali, der die friedliche und zivile Bewegung maßgeblich unterstützt hat, bevor er in die Freie Syrische Armee eintrat. Er wurde getötet, wie viele andere auch. All diese jungen Leute zu verlieren war und ist immer noch ein bitterer Verlust. Sie hätten unsere Revolution auf andere Weise nach vorne bringen können.“

Mein Zimmer ist mein Klassenzimmer”, so hieß die erste Kampagne, die die AktivistInnen von Olivenzweig ins Leben riefen. Sie unterrichteten Kinder und Jugendliche, die aus Sicherheitsgründen die Schule nicht besuchen konnten, schlichtweg zuhause. Die Situation wurde jedoch zunehmend untragbar, als die Lehrer, mit denen die Gruppe zusammenarbeitete, verhaftet wurden oder das Projekt aus persönlichen Gründen abbrechen mussten.

Kinder vor einem der Olivenzweig-Gebäude in Daraa. Quelle: Syria Untold/Olive Branch Facebookseite.
Kinder vor einem der Olivenzweig-Gebäude in Daraa. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.

Monate später starteten die AktivistInnen das Projekt “Wir wollen leben”, das das Grundrecht der Kinder auf Leben betont. Dafür brachten sie zehntausend [syrische] Pfund aus eigener Tasche auf. Aus dieser ersten Kampagne gingen weitere hervor, wie zum Beispiel „Ich möchte spielen und malen“ [siehe Fotos der Aktion, FB]. Dieser Vorstoß schrieb einen Malwettbewerb aus und initiierte aus diesen Arbeiten später eine Ausstellung, die in weitere Teile des Landes getragen wurde. Zudem gab es noch die Aktion „Neue Hoffnung durch Kinderlachen“, die darauf abzielte, die Kinder – aber auch deren Eltern – die Kriegsgräuel vergessen zu lassen.

„Wir haben unsere Kinder lange Zeit nicht spielen und lachen sehen“, sagte ein Elternpaar, das darauf drang, ähnliche Projekte ins Leben zu rufen. Allerdings musste die Gruppe viele Aktivitäten einstellen, weil deren Finanzierung nicht stand.

Olivenzweig machte dann jedoch einen Sprung nach vorne, als im Dezember 2013 eine Crowdfunding-Kampagne zur Realisierung ihrer Projekte gestartet wurde. Durch Spenden von Freunden aus dem Libanon schafften sie es, das erste Olivenzweig-Erziehungszentrum aufzubauen, das einen Kindergarten, eine Grundschule und einen Club für Kinder sein eigen nennen konnte. Die InitiatorInnen sind stolz darauf, Zentren für mehr als tausend Kinder geschaffen zu haben, „deren Schulen besser sind, als es die staatlichen Schulen jemals waren“. Das nächste Ziel ist es, eine Olivenzweig-Förderschule für Menschen mit besonderen Anforderungen aufzubauen. Es ist schrecklich, dass – aufgrund von Kriegsverletzungen – die Zahl der Menschen mit Behinderungen im ganzen Land beträchtlich ansteigt.

Obwohl der hauptsächliche Fokus den Kindern gilt, engagiert sich Olivenzweig auch in anderen Projekten, wie zum Beispiel beim Pflanzen von Bäumen: „Das ist einerseits notwendig und stellt andererseits eine produktive und gesunde Aktivität für Kinder und deren Familien dar.“ Zusätzlich gab es letzten Winter die Aktion „Vergiss nicht, der Winter hat begonnen“, die das Verteilen von Decken und warmer Kleidung an SyrerInnen und syrische PalästinenserInnen vorsah. Letzteren wurde der Zutritt nach Jordanien aufgrund ihres palästinensischen Hintergrunds verwehrt.

Kinder beteiligen sich an Baumpflanzungen, einem der Olivenzweig-Projekte. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.
Kinder beteiligen sich an Baumpflanzungen, einem der Olivenzweig-Projekte. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.

Die größte Herausforderung für das Team besteht darin, den Schutz der Kinder zu garantieren, weil diese in einem zunehmend militarisierten Umfeld ständig Beschuss und bewaffneten Angriffen ausgesetzt sind. Um diesen Schutz für Schulen und Schulbusse sicherzustellen, koordiniert sich Olivenzweig mit zivilen Gruppen wie auch bewaffneten Truppen.

“Die Eltern fürchten, dass sie ihre Kinder verlieren, während sie selbst zu Hause sitzen und nichts tun können, um die Kinder zu beschützen”, erklärt einer der Begründer von Olivenzweig. „Wir müssen daher wenigstens ein Minimum an Schutz sicherstellen; sonst bleiben die Kinder zu Hause, isoliert von der Welt, ohne Aussicht auf eine Zukunft, für die Bildung unerlässlich ist. Das wäre ein langsames Dahinsterben.“

Das Team unterhält ein umfassendes Archiv ihrer Bildungsarbeit – angefangen von der Erfassung der Schülerzahlen bis hin zu den Leistungsnachweisen – in der Hoffnung, dass all diese Nachweise in naher Zukunft offizielle Gültigkeit erlangen werden. Sollte sich dies nicht bewahrheiten, haben sich ihre Bemühungen wenigstens dahingehend gelohnt, dass die Kinder darauf vorbereitet werden, in jeder offiziellen Schule im Land die Prüfungen ablegen zu können. Das syrische Bildungssystem schreibt nämlich nicht vor, dass die Kinder, die Prüfungen in der Grundschule oder in einer weiterführenden Schule ablegen wollen, zuvor den Unterricht besucht haben müssen. Aus diesem Grunde folgen die AktivistInnen dem offiziellen Lehrplan und nehmen nur geringfügige Anpassungen vor. „Unser Erziehungssystem ist syrisch – hat aber nichts mit dem Regime zu tun. Es propagiert die zivilgesellschaftlichen Prinzipien und schließt die Vielfältigkeit unseres Landes ein“, betonen sie.

Heute beschäftigt Olivenzweig 45 LehrerInnen, die für ihre Arbeit circa 100 Dollar erhalten. Diese Gehälter werden alle aus Spenden der Gesellschaft und durch zivile Initiativen finanziert. Das Team unternimmt große Anstrengungen, diese Gehälter zu garantieren, da nur so der Fortbestand des Bildungsprojektes gewährleistet werden kann. Olivenzweig hat es zudem geschafft, unabhängig zu bleiben. So sind sie, wie die InitiatorInnen sagen, „frei von internationaler Einmischung und von extremistischen Gruppen, welche bereits andere Regionen Syriens [Anm.: z.B. den Raum Aleppo oder Raqqa] ins Visier genommen haben.“

Kinder zeigen ihre Schulhefte in einem der Olivenzweig-Zentren. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.
Kinder zeigen ihre Schulhefte in einem der Olivenzweig-Zentren. Quelle: Syria Untold/Facebook-Seite Olivenzweig.

„Daraa bleibt den Werten treu, die es sich immer auf die Fahnen geschrieben hatte: Eine friedliche, den zivilen Werten verpflichtete Stadt, die extremistischen Kräften nie Raum gab – auch wenn der offizielle syrische Staat und dessen Medien etwas anderes behaupten. Heute üben wir diese Arbeit in Syrien aus. Wir hoffen, dass wir sie morgen irgendwo anders ausüben können, wo immer unsere LehrerInnen und unsere Expertise gebraucht werden wird; etwa in Somalia oder anderen Ländern, wo Kinder unter Konflikten zu leiden haben.“ [Anm.: Die syrische Revolution begann Mitte März 2011 in Daraa; die DemonstrantInnen wurden von Beginn durch den syrischen Staat an als “Terroristen” und “Islamisten” gebrandmarkt.]

Unterstützen Sie zivile Bildungsprojekte!

Dieser Beitrag ist die deutsche Übersetzung eines Syria UntoldArtikels vom 24. April 2014, erstellt durch Adopt a Revolution. Die zivile syrische Initiative Olivenzweig wird finanziell auch von AaR unterstützt. Der Artikel macht deutlich, wie wichtig solche lokalen, zivilen Bildungsprojekte für die Kinder Syriens und deren Familien sind. Ohne Bildung und Abwechslung von der Gewalt werden die Kinder ihrem Schicksal überlassen. Wenn auch Sie die Arbeit von Olivenzweig sowie ähnlichen Projekten unterstützen wollen, können Sie hier spenden.