“Wir bieten Alternativen – deshalb sind wir Regime und ISIS ein Dorn im Auge”

Im vom Assad-Regime belagerten Yarmouk verübte der “Islamische Staat” Ende Juli einen Mordanschlag auf unseren Partner Abdallah. Der Aktivist überlebte –  wir haben mit ihm über die vielen Bedrohungen von allen Seiten gesprochen, denen jene Oppositionelle ausgesetzt sind, die sich in Syrien für universelle Werte einsetzen.

Wie hat sich der Anschlag auf dein Leben ereignet?

Es war gegen halb zwei Uhr nachts. Ich wollte mit einem Kumpel das Haus verlassen, das uns als Unterschlupf dient. In dem gesamten Gebiet ist der Strom immer unterbrochen, sodass es nachts völlig finster ist. Zwei Männer kamen auf einem Motorrad vorbeigefahren und haben auf mich geschossen. Fünf Kugeln waren es, vier verfehlten mich und schlugen in den Türrahmen ein, eine traf mich in die Brust. Mein Freund, der hinter mir war, zerrte mich weg und brachte mich direkt ins nächste Feldhospital.

Dem sind zahllose Drohungen und Übergriffe vorausgegangen. Wer hat es auf euch abgesehen und warum?

Sowohl das Regime, als auch die Nusra-Front und Daesh (arabisches Akronym für „Islamischer Staat“) zielen ständig auf uns ab. Es gab vor anderthalb Jahren schon Versuche mich zu entführen. Unser Freund und Koordinator Firas wurde letztes Jahr in seinem Haus ermordet. Der Grund uns zu bekämpfen ist für alle Seiten, dass wir diese zivilen Projekte betreiben und insbesondere Bildungsarbeit leisten. Unsere Sommerschulen etwa sind ihnen ein Dorn im Auge. Sowohl das Regime als auch Daesh haben damit ein Problem, weil wir eine Alternative bieten. So was darf es für sie aber nicht geben. Für beide ist es wichtig die kommende Generation in ihrem Sinne und mit ihrer Ideologie zu formen. Deshalb sind wir ein Problem für sie. Und das ist noch nicht alles. Als Aktivisten organisieren wir den zivilen Widerstand und versuchen gegen beide Parteien – das Assad-Regime und Daesh – zu mobilisieren. Dazu kommt unsere Medienarbeit, die die Verbrechen beider Seiten dokumentiert. In den Moscheen, die von den Radikalen betrieben werden predigen sie gegen uns. Dort sagen sie, wir seien Ungläubige.

Welche militärischen Fraktionen sind in eurer Region dominant?

In Yalda ist es die Freie Syrische Armee, in Yarmouk die Nusra-Front und Daesh.

Hat so ein Attentat Einfluss auf deinen, beziehungsweise euren Aktivismus?

Natürlich hat das Auswirkungen – zwar arbeiten wir weiter, aber die Gefahr ist einfach präsent und dringt immer mehr in die Wahrnehmung. Das kann man nicht ignorieren.

Auch der Gerichtsrat in Yalda wollte eure Aktivitäten kürzlich verbieten. Wie kam es dazu?

Sie haben sich an unserer Sommerschule gestört – vor allem daran, dass wir Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichten. Aber wir konnten mit ihnen verhandeln und das Problem lösen. Heute findet eine kleine Abschlussfeier statt.

Erst wurdet ihr vom Regime ausgehungert und bombardiert, dann fiel der Islamische Staat über Yarmouk her und machte Jagd auf zivile AktivistInnen, nun erneut ein Attentat und Repression. Woher nehmt ihr die Kraft weiterzumachen?

Wir sind AktivistInnen der Revolution. Wir wussten, das das Schlimmste passieren könnte. Zu arbeiten und aktiv zu sein, zu tun, was wir tun, ist der einzige Weg weiterzumachen und der Belagerung zu widerstehen und zumindest das Gefühl der Belagerung sozusagen zu durchbrechen.
Wir haben die Lasten außerdem ein wenig aufgeteilt. Die Bedrohungen und Gefahren, die von außen ausgehen, versuche ich abzufangen. Sodass der Rest der Gruppe weiterarbeiten kann. Ich fungiere da als eine Art Blitzableiter.

Was sind nun eure Pläne?

Nun beginnt das neue Schuljahr und wir werden auch dieses Jahr alternative Schulen betreiben, auch unser Training für zivile AktivistInnen geht unvermindert weiter und wir arbeiten im humanitären Bereich, um die Folgen der Belagerung abzuschwächen – wir ziehen Kühe auf. Außerdem versuchen wir als eine Art Statistikamt zu wirken, es ist wichtig zu wissen, was die Menschen brauchen, wer überhaupt noch hier ist. Außerdem können wir so sichergehen, dass die Unterstützung, die die verschiedenen humanitären Organisationen leisten, gleichmäßig verteilt wird.

Interview: Jan-Niklas Kniewel