Verhaftungswelle in Damaskus

Erst in dieser Woche erschien ein 31-seitiger Bericht, der die systematische Folter von politischen Gefangenen durch das Assad-Regime dokumentiert. Eine der Forderungen der oppositionellen syrischen Kräfte im In- und Ausland vor Genf II war die Freilassung der politischen Gefangenen als Bedingung für weitere Verhandlungen. Stattdessen inhaftierte das Regime insbesondere in den Wochen vor Genf II […]

Erst in dieser Woche erschien ein 31-seitiger Bericht, der die systematische Folter von politischen Gefangenen durch das Assad-Regime dokumentiert. Eine der Forderungen der oppositionellen syrischen Kräfte im In- und Ausland vor Genf II war die Freilassung der politischen Gefangenen als Bedingung für weitere Verhandlungen. Stattdessen inhaftierte das Regime insbesondere in den Wochen vor Genf II AktivistInnen in massivem Ausmaß.

Die Verhaftungswelle der letzten Wochen traf vor allem Damaskus. Junge SyrerInnen wurden an den Regime-Checkpoints, die inzwischen an jeder Ecke in der Stadt zu finden sind, oder bei Razzien festgenommen. Allein in der letzten Woche vermeldete die Gruppe ziviler AktivistInnen “Al-Shabab Al-Suri Al-Thair” (Die revolutionäre syrische Jugend), dass fünf ihrer AktivistInnen in Haft zu Tode gekommen seien. Die Leichname von Ahmad, Walid, Yasin, Muatazz und Bashar wurden an ihre Familien übergeben. Unübersehbar war, dass die in der Abteilung 215 des militärischen Geheimdienstes in Kafersuseh  inhaftierten Aktivisten durch Folter verstorben waren. Weitere AktivistInnen der Gruppe wurden ebenfalls verhaftet.

Anm.: Kafersuseh liegt im Herzen von Damaskus, neben Sicherheitsbehörden befinden sich dort auch einige Ministerien.

Auch die Gruppe “Harakat Al-Nadaa Al-Watani” (Die Bewegung des nationalen Aufrufs), die sich als ziviles politisches Netzwerk innerhalb Syriens versteht, meldete die Verhaftung mehrerer Mitglieder in den vergangenen drei Wochen. Darunter befinden sich auch drei Gründungsmitglieder; so zum Beispiel der Arzt Jalal Nofel, welcher damit bereits zum dritten Mal vom Regime inhaftiert wurde. Von den AktivistInnen fehlt bisher jegliche Nachricht über ihren Verbleib oder Gesundheitszustand.

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Bild: Öffentliche Erklärung zur Inhaftierung von Jalal Nofel am 18.01.2014.

Das Regime versuchte, in Damaskus systematisch die AktivistInnen-Persönlichkeiten der zivilen Bewegung zu verhaften, um so ganze Gruppen zu zerschlagen und weitere AktivistInnen einzuschüchtern und zu desillusionieren. Dazu gehört zum Beispiel die Aktivistin Aliss Mafraj, die aus der Provinz Suwayda stammt. Auch mit der Verhaftung des über die Landesgrenzen hinweg bekannten Künstleraktivisten Hassan Hassan versetzte das Regime der Community syrischer AktivistInnen psychologisch einen schweren Schlag. Hassan Hassan verstarb nach nur kurzer Zeit unter Folter im Gefängnis; Aliss Mafraj befindet sich allen Annahmen nach weiterhin in Haft bei der “Abteilung für politischen Sicherheit” des Regimes.

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Bild: Die am 30.12.2013 inhaftierte Aktivistin Aliss Mafraj.

Gebetsmühlenartig betont die Regierung Assads, dass mit der jetzigen Opposition nicht zu verhandeln sei: Diese sei gespalten und islamistisch. Mit den Massenverhaftungen von zivilen AktivistInnen sperrt das Regime jedoch genau jene weg, die es am Verhandlungstisch vermisst. Beispiele sind das Netzwerk “Harakat Al-Nadaa Al-Watani” und “Al-Shabab al-Suri al-Thair”. Letztere AktivistInnen-Gruppe besteht bespielsweise seit 2012, ist gut über ganz Syrien vernetzt und in vielen Städten aktiv – der passende zivile Partner, wenn es darum gehen soll, eine auf dem Verhandlungstisch erstrittene Lösung lokal umzusetzen. Die Verhaftungen legen das Netzwerk jedoch lahm; somit kontrolliert das Regime die Effizienz aller kritischen Stimmen.

Hinter der Verhaftungswelle des Regimes scheint zudem politisches Kalkül im Hinblick auf die Genfer Verhandlungen zu stecken: “Das Regime kreiert Probleme und strengt dann Verhandlungen über sie an, die weitab der eigentlichen Essenz der Probleme liegen”, meint Mazen aus Suwaida. Bei Genf II wird es somit nicht nur darum gehen, dass die 200.000 “alten” politischen Gefangenen frei gelassen werden, sondern auch, dass die Verhaftungswelle ein Ende nimmt. Abu Salma, der sich inzwischen im Ausland befindet und Mitglied der AktivistInnen-Gruppe “Al-Shabab al-Suri al-Thair” ist, vermutet, dass nun besonders viele Verhaftungen stattfänden, sodass das Regime einen im Rahmen von Genf II beschlossenen Gefangenen-Austausch dann als politischen und diplomatischen Erfolg bewerten kann. Für die Opposition würde hierbei kein Erfolg im Raum stehen, denn jene politischen Gefangenen, deren Freilassung seit Monaten gefordert wird, fielen nicht unter die Einigung. In gewisser Weise inhaftiert das Regime die politischen AktivistInnen damit auch als Faustpfand.

Auf lokaler Ebene scheint das Regime eine ähnliche Politik anzuwenden. So wurde jüngst in einem Waffenstillstand mit dem Damaszener Vorort Qudsayya, der seit Monaten belagert wurde, die Freilassung von Regime-Gefangenen ausgehandelt. Im Nachhinein, so berichtet Abu Salma, sei lediglich eine geringe Zahl von Gefangenen freigekommen – und auch nur jene, die zuvor immer wieder und willkürlich an den Checkpoints verhaftet worden seien. Qudsayyas zivile Oppositionelle säßen jedoch weiterhin in Haft, weswegen die AktivistInnen am vergangenen Freitag erneut auf die Straße gingen, um für ihre Freilassung zu demonstrieren. Gleiches spielte sich beispielsweise nach einer Übereinkunft zum Waffenstillstand auch in Barzeh ab, wo entgegen der Vereinbarungen ebenfalls keine Gefangenen vom Regime entlassen wurden.


Video: Demonstration für die Freilassung der beim Regime Inhaftierten in Qudssaya am 10.01.2014 nach der Vereinbarung zum Waffenstillstand.

In Genf darf es also weder nur darum gehen, mit den Altlasten des Regimes aufzuräumen, noch darum, nur die kürzlich Inhaftierten auszutauschen. Ein sofortiger Stopp der Verhaftungspolitik muss ebenso gefordert werden wie eine Freilassung der politischen Gefangenen, die seit Beginn der Revolution inhaftiert wurden. Es darf von internationaler Seite nicht zugelassen werden, dass das Regime durch seine Politik auf lokaler Ebene die internationalen Verhandlungen zu kontrollieren versucht. Im Nachhinein würde ein Gefangenenaustausch der kürzlich inhaftierten AktivistInnen als großer diplomatischer Erfolg gewertet werden – ohne dass jene, die schon seit Jahren in Haft sitzen, freigelassen werden oder sich an der Verhaftungspolitik vor Ort irgendetwas ändert. Dies wird sich das Regime immer wieder zu Nutze machen. Während das Regime im Großraum Damaskus also fortwährend zivile AktivistInnen und die säkulare, unbewaffnete Opposition verhaftet, lässt es im Norden Syriens ISIS auf seinem Vormarsch gewähren. Das Regime sollte bei den Verhandlungen nicht die Chance bekommen, sich weiterhin als Bekämpfer der Islamisten auf der einen Seite und Beschützer der oppositionellen säkularen und zivilen Kräfte auf der anderen Seite zu inszenieren.

AktivistInnen in Syrien arbeiten an der Freilassung der Gefangenen und organisieren weiter zivile Proteste und Aktionen. Helfen Sie mit, die junge syrische Zivilgesellschaft zu finanzieren!

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