Generalamnestie, Daraa im Aufbau, dramatischer UN-Appell, Proxy Wars und Revolution – Netzschau 17. April

Der 17. April ist in Syrien ein staatlicher Feiertag. Der Unabhängigkeitstag erinnert an den endgültigen Abzug der Franzosen 1946. Seit Beginn der Revolution werden von den Demonstranten oft Parallelen zwischen dem Aufstand gegen die Franzosen und der Auflehnung gegen Assad gezogen, so auch gestern im Ort Tadef (Umland von Aleppo). Eine Anklage an die Weltgemeinschaft […]

Der 17. April ist in Syrien ein staatlicher Feiertag. Der Unabhängigkeitstag erinnert an den endgültigen Abzug der Franzosen 1946. Seit Beginn der Revolution werden von den Demonstranten oft Parallelen zwischen dem Aufstand gegen die Franzosen und der Auflehnung gegen Assad gezogen, so auch gestern im Ort Tadef (Umland von Aleppo). Eine Anklage an die Weltgemeinschaft war zudem zu lesen: Diese lasse sich von Bärten ängstigen, bleibe beim Anblick von toten Kindern jedoch ohne Regung. In der südlichen Stadt Suwayda fand ebenfalls eine Demonstration statt.

Zum Feiertag hat Assad erneut eine Generalamnestie verkündet, die jedoch nur wenigen politischen Häftlingen nutzen wird (tagesschau.de). Bei der syrischen Nachrichtenagentur SANA ist zu lesen, dass beinahe alle Verbrechen vor dem 16. April in die Amnestie eingeschlossen sind – ausgenommen jedoch „Hochverrat, Spionage und Terrorismus“. Gerade diese Anklagen werden gegen (politische) Gefangene seit 2011 jedoch oft erhoben. Unangemeldete Waffen können laut SANA innerhalb von zwei Wochen den Behörden ausgehändigt werden sowie Deserteure und Gesuchte sich binnen Monatsfrist stellen. Diesem freundlichen Aufruf werden wohl Wenige Glauben schenken. Die Washington Post zitiert den syrischen Premierminister Al-Halqi, dass 7000 Gefangene im Rahmen der Amnestie freikommen werden. VDC listet derzeit 37.000 dokumentierte Inhaftierte in syrischen Gefängnissen, dies sind allein Fälle ab 2011.

Eine neue Initiative, um der staatlichen Verwaltung funktionierende Alternativen entgegenzustellen, gibt es in Daraa mit der „Public Commission for Civil Defense“. Diese will Aufbauarbeit transparent koordinieren und Hilfsbedürftigen unabhängig von religiöser Zugehörigkeit oder politischer Ausrichtung zur Seite stehen. Straßenreinigung und Müllabfuhr wurden bereits angefangen; medizinische und humanitäre Hilfe, infrastrukturelle Maßnahmen und das Training von AktivistInnen sind ebenfalls Teil der Aktivitäten. Vor kurzem wurde bei einer Bombardierung der Stadt Daraa auch das Hauptquartier beschädigt. 6 Büros werden von der Initiative unterhalten: Administration, Medizinische Hilfe, Finanzen, Medienkoordination, Nahrung/Humanitäres sowie das koordinierende Büro für Rettung/Evakuierung.

Fünf UN-Organisationen haben derweil gestern an die Weltgemeinschaft und die Konfliktparteien einen Appell gerichtet, dringend eine politische Lösung in Syrien zu finden (dw). Die Leiter von OCHA, WFP, UNHCR, Unicef und WHO wiesen auf die 5,5 Millionen Syrer hin, die mittlerweile auf Nothilfe angewiesen sind. Derzeit wachse die Not der Syrer immer weiter, wobei gleichzeitig durch Sicherheitsrisiken und schwindende Mittel der UN eine Einstellung der humanitären Hilfe – zumindest in Teilen – in naher Zeit drohe. Der Appell fordert jedoch nicht mehr Hilfe, sondern die dringende Lösung des Konflikts: „Setzen Sie sofort all Ihren Einfluss ein, um das syrische Volk zu retten und die Region vor der Katastrophe zu bewahren.“

Eine Übersicht zentraler Hintergrundtexte zu Syrien und der Revolution kann man ab jetzt auf der Seite „Syrian Revolution“ bei reddit erhalten. Die syrische Aktivistin Razan Ghazzawi hat diese Sammlung initiiert. In einem aktuellen Interview (die Presse) wirft die exilierte Schriftstellerin Samar Yazbek der Welt Versagen in Syrien vor. Sie lehnt eine Militärintervention ab, verlangt für die Syrer jedoch Schutz und Hilfe durch den Westen. In der Berichterstattung im Westen gebe es u.a. orientalistische Vorurteile und übersteigerte Angst vor Islamismus.

Wie die Welt auf Syrien blickt, steht auch beim Blogger Darth Nader im Vordergrund: Revolution, Bürgerkrieg oder Proxy War? Er argumentiert, alles drei trifft auf Syrien zu, da sich dort verschiedenste Konflikte überlagern. Bei weitem sei dies jedoch keine Rechtfertigung, eine Revolution in Syrien prinzipiell zu negieren oder kleinzureden, wie es in Verweis auf den „Proxy War“ oder den „Bürgerkrieg“ in Syrien oft geschieht. Die Revolution in Syrien werde von großen Teilen der Bevölkerung getragen und stellt auch eine soziale Revolution dar, da zuvor benachteiligte Gruppen ihre Rechte einfordern: „[T]he Syrian revolutionaries are reclaiming their voices, and this is Syria’s own “revolution within a revolution.”

Die in Teilen nicht sehr übersichtliche Darstellung „Ein Kampf aller gegen alle“ (NZZ) beleuchtet den Aspekt des „Proxy War“. Die Risse in der syrischen Opposition im Kampf gegen Assad werden von den äußeren Akteuren gerne ausgenutzt und für ihre Zwecke eingespannt. Eine Machtübernahme der Muslimbrüder in Damaskus wollen die z.B. Saudis verhindern, weil derart ihr Königreich sowie das in Jordanien wohl die nächsten Umsturzkandidaten wären. Daher bewaffnet Saudi-Arabien flugs „eigene“ Kräfte. Washington wolle seinerseits die Jihadisten von Israel und Jordanien fernhalten und bewaffnet weitere Kräfte. Jürg Bischoff meint: „Die Gefahr steigt, dass innere Streitigkeiten und äussere Intrigen den Krieg zwischen Regime und Opposition zu einem Kampf aller gegen alle ausarten lassen.“

Zenith geht auf die aktuellen Entwicklungen am Golan ein, wo sich die vormals „rhetorische“ Front Israel – Syrien allmählich in eine sehr aktive Gefährdungssituation für Israel verwandelt. Israel bereitet sich jedoch umfassend auf die veränderte Situation vor: Ein sieben Meter hoher und 60 km langer High-Tech-Zaun soll bis August stehen, das letzte Teilstück im Herbst. Eine Pufferzone nach südlibanesischem Modell soll nach Assads Sturz am Golan installiert werden – eine Kooperation mit geneigten syrischen Kräften, die Israel gegen weitere syrische Parteien absichern. Solch eine Zerfaserung der syrischen Parteien sichert zwar Israel; ob es dem syrischen Zusammenleben und Wiederaufbau nutzt, ist höchst zweifelhaft. Die Israelis sehen den Sturz Assads herannahen; Assad habe sein Waffendepot bei weitem noch nicht ausgereizt – Chemiewaffen jedoch wohl schon versucht.


feed_iconUnsere Syrien-Presseschau als RSS-Feed abonnieren.

Für eine wöchentliche Zusammenfassung unserer Beiträge im Syrischer Frühling-Blog schicken Sie uns doch einfach eine E-Mail an: newsletter[ätt]adoptrevolution.org.

Dieser Beitrag ist lizensiert als Creative Commons zur freien Verwendung bei Namensnennung. Bei kommerzieller Weiterverwendung bitten wir um eine Spende an Adopt a Revolution.