Tourblog: Zwischen Aufbruch und Verzweiflung – Wie weiter in Syrien?

Viele Informationen über die syrische Revolution kommen aus den Medien oder sozialen Netzwerken. Die können aber persönliche Geschichten, Erlebnisse und Analysen nicht ersetzen, schauen sie doch vor allem auf spektakuläre Ereignisse und nicht so sehr auf das, was AktivistInnen antreibt, die seit 2011 den unbewaffneten Aufstand gegen die brutale Assad-Diktatur wagen. Von 6. bis 22. […]

Viele Informationen über die syrische Revolution kommen aus den Medien oder sozialen Netzwerken. Die können aber persönliche Geschichten, Erlebnisse und Analysen nicht ersetzen, schauen sie doch vor allem auf spektakuläre Ereignisse und nicht so sehr auf das, was AktivistInnen antreibt, die seit 2011 den unbewaffneten Aufstand gegen die brutale Assad-Diktatur wagen.

Von 6. bis 22. April sind wir mit den syrischen AktivistInnen Rula Asad, Hervin Ose und Alan Hassaf durch zehn Städten in Deutschland unterwegs, die dort über die Hintergründe der syrischen Revolution und das Leben der AktivistInnen im Untergrund berichten. Hier berichten wir über die Veranstaltungen. Alle Tourstopps finden Sie hier.

+ + + Montag, 22. April + + +

Was ist eigentlich los in Syrien? Warum gehen alle davon aus, dass eine militärische Auseinandersetzung bedeutet, dass gar kein ziviles Leben mehr stattfindet? Wie können wir deutlich machen, dass trotz der militärischen Kämpfe nur die zivilen Proteste eine Veränderung bringen können, wie wir sie uns wünschen würden? Das sind die Fragen, die wir uns auch vor der Veranstaltung in München wieder stellen mussten – und die wir im EineWeltHaus beantwortet haben.

Alan beschreibt, wie sich die Lage in Syrien mit dem Ausbruch der Revolution verändert hat. Schon vor dem Aufstand war er politisch aktiv, wofür er sich zahlreiche Probleme eingehandelt hatte und weshalb er verfolgt wurde. Aber als der Aufstand sich auf einmal wie ein Lauffeuer über das ganze Land verbreitet hat, waren es auf einmal nicht mehr die AktivistInnen, die Angst vor dem Regime hatten, denn die Menschen haben ihre Angst verloren. Stattdessen hat die Angst die Seiten gewechselt und das Regime hatte auf einmal Angst vor seinen eigenen BürgerInnen: Die Geheimdienstler fürchteten, entdeckt zu werden – und hatten zugleich Angst vor ihren Vorgesetzten. Die Polizisten fürchteten, von ihren Verwandten geschnitten zu werden – und fürchteten zugleich, strafversetzt zu werden, wenn sie nicht harte und härteste Befehle umsetzten. “Für mich war es eine unglaubliche Erleichterung, dass sich jetzt auch die Polizei fürchtete. Denn damit stand ich nicht mehr so im Fokus.” Aber die Freiheit von Angst hielt nicht lange, denn dann begann das Regime, wie wild alles daran zu setzen, die Menschen wieder in Angst und Schrecken zu versetzen.

Mit seinen persönlichen Erklärungen aus der Zeit vor der Revolution schafft es Alan immer wieder eine Beklemmung hervorzurufen. Aber mit seiner freundlichen Art verschwindet sie auch immer sofort wieder – und regt hier in München zahlreiche Menschen zu Nachfragen an. Sie wollen mehr wissen über den zivilen Aufstand, über die Hintergründe, über die Entwicklungen der Revolution. Hier kann auch Hervin von ihren Erfahrungen berichten und beschreiben, wie sich ihr Leben und die Lage im Land verändert hat, seit Mashal Tammo, ein bekannter kurdischer Oppositionspolitiker, mit dem sie lange zusammengearbeitet hatte, in Qamishli auf offener Straße erschossen wurde.

Als die Veranstaltung vor bei ist, fragen wir uns ein bißchen, wo wir morgen sein werden. Denn nach all den Diskussionen im ganzen Land erscheint es uns geradezu seltsam, jetzt wieder in den Alltag einzutauchen. Doch wir haben viel positives Feedback bekommen und viele Einladungen zu weiteren Veranstaltungen. Nach einer ausführlichen Auswertung werden wir uns überlegen, wie wir möglichst viele davon annehmen können. Falls Sie Interesse an einer Syrien-Veranstaltung mit uns haben, dann schreiben Sie uns doch einfach eine Email an: info@adoptrevolution.org

+ + + Freitag, 19. April + + +

An unseren Pausentagen sind wir unterwegs quer durch die Republik, um die freien Tage zu nutzen, wieder mit unserem Alltagsleben zurecht zu kommen. Heute geht es deswegen von Marburg aus gen Berlin, gen Arnheim in den Niederlanden, gen München. Und am Montag haben wir in München dann auch unseren Tourabschluss. Wir sind gespannt – kommt vorbei!

+ + + Donnerstag, 18. April + + +

Inzwischen haben wir Routine. Die Vorträge laufen gut, wir sind ein eingespieltes Team, es macht Spaß, zusammen unterwegs zu sein. Heute in Marburg lief alles wie am Schnürchen. Wir waren wieder an der Uni, aber leider waren nicht so viele Menschen gekommen, vielleicht 40, aber wir waren im Dezember schon einmal mit einem Aktivisten hier, vielleicht fühlen sich schon alle gut informiert? Eigentlich hätte es eine Menge neues zu erfahren gegeben, denn inzwischen haben wir unsere Inputs gut aufeinander abgestimmt, alles läuft wir am Schnürchen – und Lamis kann wirklich aktuelle Infos aus Syrien liefern. Zum einen war sie noch vor wenigen Wochen selbst dort und kann die Gefühle beschreiben, die einem in Syrien begegnen. Zum anderen telefoniert sie jeden Tag mit FreundInnen in ar Raqqa, der ersten “befreiten” Provinzhauptstadt und in Damaskus, wo sie studiert.

Doch auch wenn alles so eingespielt ist inzwischen, so ist so eine Tour doch auch anstrengend – und gerade waren wir auf den Abschluss der zweiten Tourwoche noch etwas trinken. Damit verabschieden wir uns auch in die Nacht und das Wochenende – bevor wir am Montag noch einen letzten Stopp in München haben. Die Zwischenbilanz nach neun von zehn Toustopps: Viele spannende Menschen getroffen, spannende Diskussionen geführt und doch ist jede Stadt anders und es kommen immer wieder neue Aspekte zum Tragen. So bleibt es auch für uns spannend – und wir hoffen, dass wir die Lage in Syrien etwas verständlicher machen konnten!

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AktivistInnen aus Kafranbel/Syrien kommentieren die Bombenanschläge auf den Boston Marathon auf einer Demo am 19. April.

+ + + Mittwoch, 17. April + + +

Unsere Veranstaltung in Heidelberg findet in der DAI-Bibliothek statt, geradezu zwischen den Büchern und Regalen. Doch statt mit Literatur und Theorie haben die AktivistInnen nicht viel zu tun, sondern mit praktischen Aktivitäten für politische Veränderung. Ein erster Schritt dazu ist, die besonderes repräsentativen Stühle für die vortragenden AktivistInnen beiseite zu stellen und sich auf die gleiche Art von Stühlen zu setzen, wie die ZuhörerInnen. Mit Franziska Brantner ist zudem eine Abgeordnete des EU-Parlaments mit auf der Veranstaltung und berichtet aus ihrer Perspektive über die Syrienpolitik.

Dass die EU jenseits der Unterstützung für staatlich anerkannte Organisationen, was sich im Fall Syriens in erster Linie auf Assad-treue Einrichten beschränken würde, kaum etwas leisten kann für die Menschen im Land, weckt denn auch die Kritik der Zuhörerinnen. Denn als einzige Möglichkeit bleibt den EU-Mitgliedstaaten, mit Partnerorganisationen in den Nachbarstaaten “cross-border” zu arbeiten, was aber nur wenige tun. Mit ihrer Dezentralität scheint die syrische Revolution damit die Planungskapazitäten der Europäischen Union zu überfordern.

Dabei ist die Lage in allen Städten und Regionen des Landes unterschiedlich und bringt immer wieder überraschende Geschichten hervor. So berichtet Lamis von der Erzählung einer Freundin: In der vor wenigen Wochen “befreiten” Stadt, in der also die Freie Syrische Armee (FSA) die militärische Kontrolle übernommen hat, hätte es eine Demonstration zur Unterstützung der Assad-Armee gegeben. Natürlich hätten FSA-Kämpfer das mitbekommen, wären aber nicht eingeschritten, sondern hätten die Demonstration geschehen lassen. In der Theorie hätte so etwas nicht passieren sollen, doch die Geschichte zeigt einen spannenden Teil der Praxis der Revolution.

+ + + Dienstag, 16. April + + +

Heute sind wir das erste Mal im Rahmen der Tour an einer Universität – im Hörsaal des Philosophicums der Uni Mainz. Entsprechend ist auch das Publikum studentischer geprägt, als bei den bisherigen Veranstaltungen, was sich wiederum auf die Vorträge auswirkt. Lamis berichtet von ihrem studentischen Alltag, den sie als Studentin an der Uni in Damaskus derzeit hat und wir skuril sich der doch darstellt. Denn während es an der Uni einen weitgehenden Konsens gibt, dass das Assad-Regime nicht zu halten ist, wird der Campus gleichzeitig massiv von Sicherheitskräften kontrolliert. Dennoch finden immer wieder Protestaktionen statt, eher kleinere und schnellere, damit die Protestierenden wieder weg sein können, bevor die Sicherheitskräfte anrücken.

Doch natürlich findest das Leben auf dem Campus nicht losgelöst von dem in der Stadt außen herum statt. So sind natürlich die Bombardements und Schießereien in den Vorstädten Damaskus’ auch auf dem Campus, in den Vorlesungen und im Seminar zu hören. Lamis findet es einerseits erschreckend, wie schnell die Abstumpfung funktioniert, was ihr immer dann auffällt, wenn sie mit Bekannten außerhalb des Landes telefoniert, die dann fragen, was die Hintergrundgeräusche sind. Aber natürlich bleiben diese Einschläge nicht immer so weit weg, wie etwa der Luftangriff auf die Universität in Aleppo im Februar, als während einer Prüfung ein Hörsaal getroffen wurde. Oder bei einem Granateneinschlag an der Universität in ar Raqqa, von dem Lamis erzählt: Eine gute Freundin von ihr trifft sich dort eigentlich jeden Tag zum Frühstück mit KommilitonInnen. Aber an diesem Tag im März waren ein paar der FreundInnen verspätet, was allen das Leben gerettet hat, weil gerade in dem Moment die Granate einschlug.

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Von den Protesten auf dem Campus kann auch Alan viel berichten, der an der Gründung der Union der Freien Syrischen Studierenden (UFSS) beteiligt war. Das Netzwerk von Studierenden hatte im letzten Jahr dazu beigetragen, die unbewaffneten Proteste und Demonstrationen aus den ländlichen Regionen auch in die Zentren und Städte zu tragen. Sie war es auch, die nach den blutigen Angriffen auf die Universitäten rote Tinte auf dem Campus verspritzte, um auf die Brutalität der Angriffe hinzuweisen.

Im Hörsaal erinnerten sich beide, Lamis und Alan, auch daran, wie viel es ihnen vor einem knappen Jahr bedeutet hat, als Studierendenvertretungen an deutschen Hochschulen Solidaritätserklärungen mit den protestierenden Studierenden in Syrien abgegeben haben. Dazu Alan: “Für diejenigen von uns, die aktiv sind gegen die brutalen Angriffe des Regimes und Proteste organisieren, war es das Zeichen, dass wir nicht vergessen wurden. Danke dafür – noch einmal!”

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Mit roter Tinte an den Universitäten gegen die Angriffe des Assad-Regimes protestieren: Die Union der Freien Syrischen Studierenden.

+ + + Montag, 15. April + + +

21:45 Uhr Hervin setzt etwas andere Akzente als Rula – und etwas früher an. Auch in Frankfurt im Gallus-Theater hatte Alan angefangen über die Hintergründe der syrischen Revolution zu sprechen, aber Hervin setzt mit ihrer Erzählung von den Frauen in der syrischen Revolution früher an: Schon bei den ersten Demonstrationen 2011 in Damaskus, die sogar noch vor den Schlüsselereignissen in Daraa im Süden Syriens stattfanden, waren Frauen überdurchschnittlich vertreten – überdurchschnittlich für die syrische Gesellschaft zu dem Zeitpunkt.

So versteht Hervin auch die Beteiligung der Frauen an der Revolution als einen Ausdruck davon, dass sie sich eine grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung wünschen, die eine liberalere Gesellschaft eben auch für die Frauen bringt. Auf dieser Ebene hat die Revolution wohl auch schon viel gebracht: Frauen können sie das erste Mal unabhängig von der herrschenden Baathpartei koordinieren und abstimmen, können sich einbringen in die Gesellschaft, in die Politik und die Revolution – und damit in der Revolution nicht nur die Frage stellen, wer eigentlich herrscht, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Ein Fokus darauf, welcher Mann eigentlich den Staat regiert, wird dieser Revolution jedenfalls nicht gerecht.

10:15 Uhr Nach dem Wochenende steigen unsere AktivistInnen für die zweite Tourwoche wieder in den Zug und kommen aus fast allen Himmelsrichtungen nach Frankfurt: Alan hat das Wochenende einen Freund in Leipzig besucht, Lamis war mit Rula nach Arnheim in den Niederlanden gefahren und kann jetzt doch noch die zweite Tourwoche mitmachen. Anstelle von Rula wird Hervin die zweite Tourwoche begleiten und kommt aus München. In neuer Zusammensetzung werden sicherlich auch die Inhalte noch einmal etwas anders – wir sind gespannt auf heute Abend.

+ + + Freitag, 12. April + + +

Neben der Anstrengung, was war das Eindrücklichste in den letzten Tagen auf Tour? Zunächst einmal ist es doch immer wieder überraschend zu merken, wie dringend Informationsarbeit zum zivilen Widerstand in Syrien notwendig ist. Es ist uns mehr als einmal in den Diskussionen und Gesprächen der letzten Tage passiert, dass wir auf Unverständnis gestoßen sind, als wir von täglichen Demonstrationen und Aktionen gesprochen haben. Aber ja, die gibt es weiterhin – und diese Aktivitäten werden immer wichtiger, je länger der Konflikt andauert, je mehr Menschen nur noch eine bewaffnete Lösung für die Assad-Diktatur sehen.

Dann aber unterscheiden sich die Eindrücke. Lamis meint, ihr hat es einfach gut getan, ihre Erlebnisse der letzten Wochen und Monate mit interessierten Menschen aus einem anderen Land zu teilen. Denn in Syrien haben inzwischen viele den Eindruck, die Welt außen herum hätte den Aufstand längst abgeschrieben. Umso mehr hat es sie erfreut, so viele Menschen zu sehen, die extra wegen Syrien und den AktivistInnen dort zu den Veranstaltungen gekommen sind. Für Rula gab es ein paar Momente, an denen sie sich beherrschen musste, wenn auf den Veranstaltungen nach Waffen für die Bewaffneten gerufen wurde. “Ein paar Mal musste ich mich sehr zurückhalten, um nicht wütend zu werden. Waffen können höchstens das Assad-Problem lösen – aber sie würden so viele weitere schaffen. Das müssen sie doch verstehen.”

Alan berichtet, dass er gemerkt hat, wie viel es ihm noch immer ausmacht, über seine Zeit im Gefängnis zu sprechen – dabei sei er selbst doch nur zwei Wochen in Haft gewesen und nicht, wie andere, über Monate und Jahre. Und Sebastian schließlich, der auf mehreren Veranstaltungen übersetzt hat, freut sich vor allem auf ein paar Tage Pause. “Wenn du so viele Fakten, vor allem aber Emotionen von einer Sprache in die andere tragen musst, dann raucht Dir einfach nur noch der Kopf.”

Das Tour-Team schläft sich am Wochenende richtig aus – und kommende Woche geht es dann weiter: Frankfurt/Main, Mainz, Heidelberg und Marburg. Wir freuen uns drauf!

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+ + + Donnerstag, 11. April, Münster + + +

Bei welchem Ergebnis können wir nach einer Revolution eigentlich von einer Revolution sprechen? – Das war die Frage, die wir in Münster intensiv in einem übervollen Raum mit mehr als 50 Menschen diskutiert haben. Anlass war der Verweis auf den Sturz des Shah im Iran, der in einem religiösen Regime endete.

Doch Alan und Rula sind sich einig: Sie glauben nicht, dass die jungen Menschen in Syrien, nachdem sie so viele Opfer gebracht haben, um die Assad-Diktatur loszuwerden, neuerliche Unterdrückung von egal wem akzeptieren würden. Und Lamis kann mit ihrer Erfahrung aus ar Raqqa beitragen: Nach der “Befreiung” der Stadt durch die Freie Syrische Armee, bei der sie zufällig dabei war, gab es Islamisten, die junge Frauen zwingen wollten, sich zu verschleiern. Doch deren Verwandten protestierten, organisierten eine Demonstration und wiesen die Islamisten in die Schranken. Genau diese Ansätze sind es, die Hoffnung machen, dass Syrien nach der Assad-Diktatur nicht direkt in die nächste Diktatur läuft.

Gleichzeitig berichtete Rula aber, dass es noch lange nicht so weit ist. Denn in der aktuellen, angespannten Situation geht es mit der militärischen Eskalation noch immer weiter – so weit, dass jetzt auch Frauen von allen Seiten als Kämpferinnen eingezogen werden. Die Bilder von den “Löwinnen Assads” kamen auch in ihrer Präsentation vor. Das Schwerpunktthema der Frauen in der syrischen Revolution hat auch hier in Münster wieder viele Leute überrascht und interessierte mitgenommen. Schön, dass wir einen spannenden, neuen Aspekt auftun konnten.


Rekrutinnen in der Assad-Armee. Bild von rp-online.de

+ + + Mittwoch, 10. April, Bremen + + +

23:25 Uhr “Meine Zelle war nicht größer als dieser Tisch, 70 Zentimeter mal zwei Meter, mit einer Klappe unten, durch die das Essen reingeschoben wurde und ohne Tageslicht.” So berichtet Alan Hassaf den mehr als 40 ZuhörerInnen von seiner Zeit im syrischen Gefängnis. Schon vor Beginn der Revolution war er dort hineingeraten, weil er eine Demonstration organisiert hatte – eigentlich ein von der Verfassung garantiertes Recht, auch in Syrien.

Doch genau darum drehte sich anfangs auch die Diskussion: Wie schlimm war es denn eigentlich in Syrien vor der Revolution? Denn für Reisende schien das Land immer sicher, freundlich, offen. Doch auf der anderen Seite stand die politische Unfreiheit, das strikte Verbot, den Präsidenten zu kritisieren, die Korruption, die fehlende wirtschaftliche Perspektive für die Jugend. Und eigentlich wollten die DemonstrantInnen zu Beginn auch gar keine Revolution, sondern lediglich Reformen vom Präsidenten. Wir hoffen, das konnten wir etwas verdeutlichen – auch wenn zu Beginn der Beamer gestreikt hat.

16:05 Uhr Heute Vormittag hatten wir noch ein Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, dabei leider etwas getrödelt – und den Zug nach Bremen verpasst. Macht nichts, die SyrerInnen konnten sich so noch einmal wenigstens kurz die Innenstadt von Hannover anschauen und wir noch ein paar Dinge davon umsetzen, was wir uns für die weitere Mobilisierung überlegt hatten. Heute Abend moderieren wir wieder selbst, eine kurze Pause am Nachmittag ist dann schon nicht von Nachteil. 🙂

+ + + Dienstag, 9. April, Hannover + + +

Vor dem Aufbruch nach Hannover haben wir noch einmal überlegt, wie wir noch mehr Menschen auf die Veranstaltungen der Tour bringen können – und schon ist das Freizeitheim Linden mit über 70 ZuhörerInnen gut gefüllt. Rula legt diesmal den Schwerpunkt darauf zu verweisen, wie wenige Frauen eigentlich in der syrischen Exilopposition vertreten sind – sie machen in den verschiedenen Gremien nicht einmal zehn Prozent aus -, während die beiden großen AktivistInnen-Netzwerke jeweils eine Frau als Sprecherin haben. Hier müsse sich also noch einiges tun, um die Rolle, die Frauen im unbewaffneten Aufstand spielen, auch in den formalen Gremien der Opposition zu berücksichtigen.

Hier in Hannover haben wir zusammen mit amnesty international eingeladen und auch Sven-Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter der Grünen, sitzt mit auf dem Podium. Er kritisiert vor allem die Politik der Bundesregierung gegenüber syrischen Flüchtlingen. So ist etwa ein Abkommen mit dem Assad-Regime, das die Abschiebung von Flüchtlingen ermöglichen soll, weiter in Kraft.

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+ + + Montag, 8. April, Leipzig + + +

Auf den fünf Stunden Zugfahrt von Krefeld bis Leipzig haben Rula und Alan noch einmal ihre Präsentationen überarbeitet – und im “Handstand und Moral”, einem kleinen Laden in einem Hausprojekt, das erste Mal zusammen vorgetragen. Der ist mit fast 40 Menschen schon etwas überfüllt – nicht für alle finden sich Sitzplätze – aber die Aufteilung zwischen den Vortragenden klappt gut: Alan berichtet zuerst über die Hintergründe und die Entwicklungen der Revolution seit März 2011. Anschließend geht Rula ausführlich auf die Rolle der Frauen in der syrischen Revolution ein. Zu Beginn des Aufstands, als es noch keine bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Bewaffneten gab, spielten Frauen an forderten Plätzen eine wichtige Rolle im Aufstand. Inzwischen würden sie jedoch durch die bewaffneten Zusammenstöße mehr und mehr marginalisiert. Doch die jüngste Entwicklung, dass sowohl bewaffnete, radikale IslamistInnen als auch die Assad-Armee Frauen als Kämpferinnen rekrutierten, würde ihre Situation nicht verbessern.

Nach der Diskussion und schon spät am Abend haben wir noch mit einigen SyrerInnen, die zur Veranstaltung gekommen waren, diskutiert, welche Regionen in Syrien die schönsten seien – aber auch, welche Fehler die alte Opposition gemacht hat. Denn inzwischen sind die linken Vordenker des Damaszener Frühlings längst diskreditiert.

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+ + + Samstag, 6. April, Krefeld + + +

Unsere erste Veranstaltung findet im Rahmen des “Grünen Salons” in Krefeld statt. Hier geht es nicht nur um Syrien, sondern auch um die anderen Aufstände in Nordafrika und dem Nahen Osten. Entsprechend sitzen auf dem Podium auch noch Maikel Nabil Sanad, ein Aktivist aus Ägypten, und Azze-Edine Mihoubi, ein Krefelder Musiker mit algerischen Wurzeln. Rula Asad, die eigentlich für Adopt a Revolution sprechen wollte, lässt sich von ihrer guten Freundin Lamis vertreten – denn die ist erst vor knapp drei Wochen aus Damaskus ausgereist und kann daher noch viel persönlicher aus erster Hand aus Syrien berichten.

Lamis studiert an der Universität Damaskus und war vor wenigen Wochen fast zufällig in ar Raqqa, als die Stadt als erste Provinzhauptstadt von der Freien Syrischen Armee “befreit” wurde. Sie erzählt den über 100 ZuhörerInnen, dass selbst für die oppositionellen AktivistInnen der Angriff der FSA überraschend war, denn ar Raqqa war voll von Flüchtlingen aus anderen Städten, die dort Schutz und Zuflucht gesucht haben. Inzwischen bombariert die Armee mit schweren Waffen einfach die Stadt – was viele der Menschen, die bislang innerhalb Syriens auf der Flucht waren, in die nahe Türkei getrieben hat.