Spiele in Sotschi – Belagerung in Homs: Presseschau vom 15.02.2014

Tobias Lang befasst sich auf Carnegie Endowment mit der Lage der Drusen auf den Golanhöhen. Nach der Annexion des Gebietes durch Israel lehnten die Drusen ihre neuen Herrscher ab. Mehr als 90% der Bewohner haben sich geweigert, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Bis 2011 waren die Einwohner des Gebietes – trotz des offiziellen Kriegszustandes beider Länder […]

Tobias Lang befasst sich auf Carnegie Endowment mit der Lage der Drusen auf den Golanhöhen. Nach der Annexion des Gebietes durch Israel lehnten die Drusen ihre neuen Herrscher ab. Mehr als 90% der Bewohner haben sich geweigert, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Bis 2011 waren die Einwohner des Gebietes – trotz des offiziellen Kriegszustandes beider Länder – in der Lage, ihre Apfelernte nach Syrien zu exportieren oder drusische Studenten an die syrischen Universitäten zu entsenden. Seit dem Aufbruch des Aufstandes ist es immer schwieriger geworden, die langjährige Ausrichtung auf die syrische Heimat aufrecht zu erhalten. Der Export wurde zeitweise aus Sicherheitsgründen ausgesetzt, die meisten Schüler sind inzwischen nach Hause zurückgekehrt. Angesichts der langjährigen Annexion haben viele Drusen nie persönlich Kontakt zum Baath-Regime geknüpft, da sie unter israelischer Kontrolle aufgewachsen sind. Dennoch zeichnet sich eine Unterstützung für das Regime Assads ab.

Der anhaltende Bürgerkrieg bedroht die kollektive Solidarität der auf dem Golan lebenden Drusen mit dem syrischen Mutterland, da viele sich bewusst sind, dass eine Rückgabe der Golanhöhen nun unwahrscheinlicher ist als je zuvor. Einige fürchten sich gar vor Syrien, da sie von dort den Schutz religiöser Minderheiten bedroht sehen. Israel ergreift die Gelegenheit, die Drusen enger an sich zu binden: Erstmals fand ein Treffen mit einem israelischen Regierungsvertreter, dem Generaldirektor von Ministerpräsident Netanyahu, sowie den drusischen Würdenträgern statt. Obwohl die Dörfer des Gebietes in der Vergangenheit von der israelischen Regierung vernachlässigt worden sind, hat diese sich nun bereit erklärt, bis 2017 mehr als 59 Millionen Dollar in die Infrastruktur zu investieren. Solange der Bürgerkrieg anhält, werden sich die Drusen die israelische Option offenhalten. Es gibt Anzeichen, dass eine vorsichtige Annäherung an Israel bereits begonnen hat.

Judi Aziz beschreibt auf aranews die Kampagne „Ärzte im Dienste der Menschheit“ unter der Schirmherrschaft der kurdischen Jugendbewegung (TCK), welche in Qamishli gestartet wurde. Ärzte verschiedener Fachrichtungen haben begonnen, Patienten zu helfen, die nicht in der Lage sind, die erforderlichen Kosten der Behandlung zu tragen. Es werden Sichtkarten verteilt, die ihnen eine stark ermäßigte medizinische Behandlung in den Kliniken der teilnehmenden Ärzte ermöglichen. Darüber hinaus werden Seminare angeboten, um die Menschen mit den häufigsten Erkrankungen vertraut zu machen und Schutzmethoden einzuführen. Wegen der wirtschaftlichen Verschlechterung stellt die medizinische Versorgung eine zusätzliche Belastung für die Menschen dar, welche durch eine Initiative wie „Ärzte im Dienste der Menschheit“ gelindert werden soll.

David Kenner befasst sich auf Foreign Policy mit der Gefahr für den Westen durch ausländische Dschihadisten in Syrien, kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Dschihadisten momentan zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Diese Schlussfolgerung stützt ein kürzlich veröffentlichtes Youtube-Video, in welchem ein Mann namens Abu Muhammad al-Amriki über die Ereignisse in Syrien berichtet. Al-Amriki habe der Jabhat al-Nusra gedient, bis er sie verließ und sich ISIS anschloss. Dort habe er erfahren müssen, dass sich die moderateren Rebellen gegen ISIS verschworen hätten, um deren Einfluss zu mindern. Diese Erfahrung weckte sein Rachegefühl – nicht gegen den Westen, sondern gegen die anderen syrischen Rebellen. [Anm.: Im Januar 2014 starteten verschiedene Rebellengruppen und -allianzen in Nord- und Nordostsyrien einen konzertierten Kampf gegen ISIS, der von AktivistInnen und ZivilistInnen vielerorts begrüßt wurde.]

George Packer stellt auf New Yorker eine Verbindung von den Spielen in Sotschi zur Belagerung in Homs her. Gerade rechtzeitig für die Eröffnungsfeier in Sotschi wurde eine dreitätige Waffenruhe für die Stadt ausgehandelt, um Frauen, Kinder und ältere Männer zu evakuieren. Hilfskonvois gelangten jedoch unter Beschuss, Scharfschützen zielten auf die Flüchtenden. Dies stellte zwar einen Verstoß gegen die Abmachung dar, doch der Schrecken habe im syrischen Bürgerkrieg längst seine Überraschung verloren. Laut Packer wird niemand zur Rechenschaft gezogen werden, weil Syriens stärkster internationaler Geldgeber – Russland – eine etwaige Resolution der Vereinten Nationen mit einem Veto blockieren würde. Während die Flüchtlinge in Homs unter Beschuss kamen, saß Bashar Al-Assads internationaler Partner Wladimir Putin am Iceberg Skating-Palast, sichtlich bewegt von der tiefen Befriedigung, dass russische SportlerInnen goldene Medaillen erlangten. Sollten die olympischen Spiele ohne Terroranschläge verlaufen, wird das Ereignis sicher als Erfolg gefeiert. Die Belagerung in Homs wird hingegen vermutlich auch über Sotschi hinaus weitergehen.

Mark Malloch-Brown kritisiert ebenfalls die Politik Russlands (Foreign Policy). Während Putin sich im Schein der olympischen Spiele sonnt, sei die russische Außenpolitik nicht zu den olympischen Idealen vorgedrungen. Russland blockiert hartnäckig im UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die für ZivilistInnen den Zugang zu dringend benötigter Hilfe fordert. Die Waffenruhe in Homs sei zwar ein wichtiger Schritt, jedoch bei weitem kein Durchbruch. Eine teilweise Entlastung für ungefähr 2500 Menschen verbessere nicht die Situation von Millionen SyrerInnen, die anderswo mit der Not konfrontiert seien. Die syrische Politik ignoriere die internationalen Gesetze des Krieges, wonach jeder Zivilist durch Hilfsgüter versorgt werden müsse. Russland könnte durch seine Unterstützung für eine starke Resolution im UN-Sicherheitsrat sorgen und damit sichere Hilfspassagen für alle ZivilistInnen verlangen.

Salam al-Saadi geht auf Damascus Bureau auf den zunehmenden Qualitätsverlust von Reinigungs- und Lebensmitteln ein, welche auf den Straßen von Damaskus verkauft werden. Vor 2011 gab es nur eine geringe Nachfrage nach billigen Produkten, die wirtschaftliche Verschlechterung zwingt mittlerweile jedoch viele Menschen zu Einsparungen. In den Seitenstraßen bekannter Märkte findet man No-Name-Produkte zu verhältnismäßig billigen Preisen, Schampoo und Spülmittel kosten nur die Hälfte oder ein Drittel des regulären Preises. 1 Liter Milch koste 0,60$ im Vergleich zu 0,90$. Der Preis von Reinigungsmitteln ist gering, da die Menge des Wirkstoffs während der Produktion reduziert wird. Einige Mittel werden sogar mit Salz vermischt, Joghurt mit Stärke und Fleisch mit Fett. Olivenöl wird mit Gemüse- oder Sojaöl gestreckt. Daher vermehren sich Lebensmittelskandale. Die regierungsnahen Medien berichten aktuell häufiger über die Schließung von Geschäften, welche abgelaufene Lebensmittel wiederverwertet haben sollen.

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