Reise durch den Krieg zum Internet-Workshop – “Bürgerkrieg wird es nicht geben”

Immer mehr NGOs bilden syrische AktivistInnen in der Türkei aus. Unsere AaR-Korrespondentin Sophie sprach in Istanbul mit einem Internetaktivisten aus dem Palästinenserlager Yarmouk über seinen abenteuerlichen Bildungsurlaub. “Ich bin ja erst seit einer Woche hier. Für den Workshop.” “Ah, okay, welcher Workshop?” “Ein Workshop über BGANs.” (Breitband-Internet über Satellit) “Und wie lange bleibst du jetzt?” […]

Immer mehr NGOs bilden syrische AktivistInnen in der Türkei aus. Unsere AaR-Korrespondentin Sophie sprach in Istanbul mit einem Internetaktivisten aus dem Palästinenserlager Yarmouk über seinen abenteuerlichen Bildungsurlaub.

“Ich bin ja erst seit einer Woche hier. Für den Workshop.”
“Ah, okay, welcher Workshop?”
“Ein Workshop über BGANs.” (Breitband-Internet über Satellit)
“Und wie lange bleibst du jetzt?”
“Ich? Morgen fahr ich zurück nach Damaskus.”
Mir sitzt ein schmaler Junge in Adidasshorts gegenüber. Er lächelt viel, eher unsicher. Small-Talk, Händeschütteln, wichtig sein – nicht sein Spielfeld. Er hat letztes Jahr sein Studium zum “Technical Engineer” abgeschlossen und er ist einer von denen, die von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen aus Syrien rausgeholt werden, damit sie an Workshops teilnehmen können. Workshops über die richtige Handhabung von technischem Equipment, über Sicherheit im Internet, zivilen Ungehorsam, Day-After-Workshops.

Ich frage ihn, wie er aus Damaskus hierher gekommen ist. Er lebt im Camp Yarmouk, zusammen mit seiner Familie. Das palästinensische Viertel von Damakus heißt Camp, weil es aus einem Flüchtlingslager gewachsen ist. Als erstes ist er von Yarmouk nach Arbin, erzählt er, in einen anderen Stadtteil der Hauptstadt also. Vor zwei Wochen ungefähr war er da, da hat die Armee gerade von Arbin aus andere Stadtviertel bombardiert. “Dann raus aus Damaskus.” Die Busstrecken hat man mittlerweile geändert. Die Überlandbusse fahren jetzt nicht mehr von Damaskus über Homs nach Aleppo. Diese Straße war bis zum Angriff auf Homs die wichtigste Verkehrsader Nord-Süd. Jetzt fahren die Busse durch die Wüste über Ar-Raqqa. Dann war er in Aleppo, vor circa einer Woche, als die Rebellen dort gerade einzelne Stadtteile unter ihre Kontrolle brachten. Da haben ihn die Sicherheitskräfte aus dem Bus gezogen. Nur zwei Stunden haben sie ihn verhört: “Was willst du hier? Gerade jetzt?” “Ich will einen Freund besuchen.” Die Lage in Aleppo? Sehr schlecht. Er hat eine Leiche am Straßenrand gesehen. “Aber weißt du nicht, dass es hier gerade sehr gefährlich ist?”, haben sie ihn gefragt.  “Äh, nein, wie? Was soll denn los sein?”

Am Ende entließen sie ihn: “Entweder bist du dumm oder du hast uns dumm gemacht.” Das schwierigste Stück der Strecke hatte er da geschafft, über die Grenze in die Türkei zu kommen war  weniger gefährlich. Zumindest gerade ungefährlicher als sich Aleppo oder Homs zu nähern, meint er. “Aber wenn die rauskriegen, dass ich hier war”, er lächelt wieder schief, “das wäre mein Todesurteil.”

Er war nicht von Anfang an dabei. Das heißt: “Seit fünf Monaten bin ich richtig aktiv. Vorher war ich auch für die Revolution, aber ich habe eher leichte Sachen gemacht. Klar, im Internet Sachen gepostet. Mich um die Facebookseite gekümmert.” Seit fünf Monaten gibt er in anderen Vierteln und Städten Kurse: Wie benutzt man Satellitentelefone, wie richtet man sich eine sichere Internetverbindung ein. Er erläutert: “Vor fünf Monaten, da bin ich nach Homs gefahren. Ich war dort, als es bombardiert wurde.” Er ist freiwillig nach Homs gefahren als es bombardiert wurde. Warum? Das ist völlig verrückt. Ich denke kurz an die Free Syrian Army, ans Kämpfen. “Ich wollte es sehen, ich wollte die Wahrheit sehen. Seitdem hat sich in meinem Kopf viel geändert. Seitdem kann ich richtig aktiv sein.”
“Und du fährst zurück?”
“Ja, morgen. Ich vermisse meine Familie. Ich meine, es ist nicht so… Ich habe vier Jahre getrennt von meiner Familie gelebt, vor der Revolution. Da haben sie mir kaum gefehlt. Aber jetzt vermisse ich sie, weil ich mir Sorgen mache. Je schlimmer die Situation wird, desto mehr vermisse ich sie.”
Er sagt, “drinnen” glaube niemand an ein schnelles Ende. Sie bereiten sich auf eine weitere lange Zeit des Widerstands vor. Worüber er sich am meisten Sorgen mache im Hinblick auf die Zukunft, frage ich ihn. “Die Schulen in Camp Yarmouk sind keine Schulen mehr”, berichtet er, “sondern Flüchtlingsunterkünfte.” Sein Vater hat eine Apotheke, er hat dort eine Ausbildung gemacht und hilft auch bei der Behandlung von Verwundeten. “Es gibt keinen Unterricht mehr. Das ist ein Problem für die Zukunft unseres Landes, wenn die Kinder nicht mehr zur Schule gehen können.” Und Bürgerkrieg? “Nein, den wird es nicht geben. Am Anfang haben alle gedacht, es könnte zu einem Bürgerkrieg kommen. Aber jetzt halten die Leute zusammen, sie haben gemerkt wie nah sie sich sind.”

 

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