Opferfest in Syrien, anhaltender Widerstand gegen IslamistInnen, Yassin al-Haj Saleh im Exil- Netzschau vom 18. Oktober 2013

Diese Woche feierte man das Opferfest in Syrien. Auch in belagerten und unter Regimegewalt stehenden Gebieten wie Homs gab es traditionelle Tanz-Darstellungen, wie in diesem Video. In dem dynamischen Video werden traditioneller Tanz und Gesang mit Liedern der Revolution gemischt. Auch in Qudsayya haben AktivistInnen von der Gruppe Jafra versucht insbesondere Kindern ein Fest zu […]

Diese Woche feierte man das Opferfest in Syrien. Auch in belagerten und unter Regimegewalt stehenden Gebieten wie Homs gab es traditionelle Tanz-Darstellungen, wie in diesem Video. In dem dynamischen Video werden traditioneller Tanz und Gesang mit Liedern der Revolution gemischt. Auch in Qudsayya haben AktivistInnen von der Gruppe Jafra versucht insbesondere Kindern ein Fest zu bereiten, dies geschah unter dem Motto „Es ist mein Recht, ein Fest zu haben“. Auch Zabadanis Uprising Women Gathering organisierte trotzend ein Fest für Kinder.

Die Konfrontation zwischen zivilen AktivistInnen und IslamistInnen geht weiter. Syria Freedom for Evernimmt Stellung zu Zahran Alloush, Kommandeur der “Armee des Islam”. In Douma hatte sich ein Ziviler Rat gegründet, zu welchem auch eine unabhängige Justiz und eine legislative Körperschaft sowie eine zivile Verwaltung, die für die Bereitstellung von Dienstleistungen an die Bürger verantwortlich ist, gehört. Alloush wandte sich daraufhin in einer Rede an die Menschen im östlichen Ghouta und betonte, dass (politische) Einheit ausschließlich unter seiner Person möglich sei. Autonome zivile Strukturen würden seine Autorität überschreiten und somit dem öffentlichen Interesse (maslahat al-sha´b) schaden. Syria Freedom Forever, macht deutlich, dass sie auch diese Form der Diktatur ablehnen: „We, the undersigned, we find it is our duty to reject any attempt by any party to impose authoritarianism upon decision-making and upon the work of citizens. We also reject that compliance with any institution not elected by the people, no matter how powerful or wealthy the institution, be rendered a benchmark for the public good or a gauge of patriotism or an indicator of the ability to perform civic duty today.” Die Gruppe fordert weiterhin, dass jene, die Kraft/Macht haben, diese zum Schutz der Bevölkerung in Ost-Ghouta einsetzen sollen und nicht, um die Bevölkerung zu unterdrücken. Sie fordern Alloush auf, zur Revolution zurückzukehren.

Auf diese Spannungen Bezug nehmend, ist auch das Plakat einer Aktivistin aus Aleppo zu verstehen: „Wir haben kein Problem mit dem Himmel, sondern mit denen, die meinen, dass sie den Himmel repräsentierten.“

Das Paradox dieser Situation in Syrien wird in einem Artikel von Syria Untold deutlich. Zwei Schwestern: die Eine sitzt in einem Regime-Gefängnis, die Andere wird von Islamic State of Iraq and the Levant (ISIS) fetsgehalten. Beide Schwestern sind für ihren aktivistischen Einsatz, einen zivilen Staat in Syrien zu fordern, bekannt. Maisa wird deswegen bereits seit April 2013 vom Regime festgehalten. Samar wird im August in Aleppo von ISIS festgenommen. Ähnlich wie das Regime, geht auch ISIS vor und verlangt von Verhafteten, dass diese ihnen ihr soziales Netzwerk offen legen, um es anschließend überwachen zu können. Einige AktivistInnen machen auch die politische Opposition für den Einfluss von ISIS verantwortlich, welche Chaos in den vom Regime befreiten Gebieten nicht verhindern konnte. Syria Untold bezieht klar Stellung: „Both Maysa and Samar´s tireless work, and their arrests, remind Syrians of the need to continue to defend freedom and justice regardless of who is in power. The Syrian revolution, as it has become increasingly clear, is a process that will not end with the overthrow of the regime.”

In faust-kultur beschreibt der syrische Schriftsteller Omar Kaddour einen bewegenden Text über das Überleben in Damaskus: „[W]enn wir uns [die] hohe Opferzahl [in Syrien] vor Augen führen, dann haben wir nicht das Gefühl, dem Tod entkommen zu sein. Das hat nichts damit zu tun, dass das Schreckgespenst des Todes weiter über uns schwebt, solange das Regime existiert, sondern damit, dass das Gefühl, entkommen zu sein, egoistisch ist, solange täglich Dutzende Zivilisten infolge der willkürlichen Bombardierungen sterben. Vielleicht ist ja sogar einer von uns beiden in Wahrheit bei einem der Angriffe ums Leben gekommen und hat es gar nicht bemerkt!“ Er beschreibt wie er am Anfang der Revolution noch tiefe Trauer über die ersten Toten empfinden konnte, inzwischen jedoch täglich FreundInnen sterben und man einfach nicht mehr weinen kann: „Viele Freunde haben uns verlassen, die es so sehr verdient hätten, die Diktatur stürzen zu sehen. Ihr Tod war deshalb besonders schmerzhaft, weil sie nach dem Sturz der Diktatur so gerne noch ein wenig gelebt hätten – und sei es auch nur für ein paar Minuten.“

Der syrische Dissident und Intellektuelle Yassin al-Haj Saleh, der lange Zeit im Ghouta-Gebiet um Damaskus gelebt hat und regelmäßig und kritisch über die Lage berichtete, hat Syrien verlassen. Saleh ist seit langem Oppositioneller und lebte von Beginn der Revolution an versteckt im Untergrund, da er von den Behörden gesucht wurde. Zunächst lebte er in Damaskus, entschied sich dann jedoch in das Ghouta zu ziehen, um die Lebensumstände in diesen Gebieten besser verstehen zu können und um eine Einsicht in einen Teil des befreiten Syriens zu bekommen. Bisher wollte er Syrien nicht verlassen. Seine Abreise hat eine kontroverse über die Rolle von Intellektuellen in der syrischen Revolution zwischen AktivistInnen ausgelöst. In seinem Abschiedsbrief, schreibt er über seine Beweggründe, darüber wie er zunächst in seine Heimatstadt Raqqa geschmuggelt werden musste, nur um sich dort weiterhin- wegen der Dominanz von ISIS in der Stadt- verstecken zu müssen. Und auch Saleh hat Angst, sich in die Reihe von syrischen Flüchtlingen einzuordnen jetzt da er im Exil ist.

Der syrische Cartoonist Akram Raslan, der für die Zeitung al-Fida aus Hama arbeitete, wurde vor 6 Monaten in seinem Büro in Hama von den syrischen Behörden verhaftet und seitdem an einem unbekannten Ort festgehalten. Im Juni wurde er vor einem syrischen Gericht in einem Schauprozess verurteilt, hieß es. Die Anklage basiert auf seinen Cartoons, aus welchen Beleidigung des Präsidenten und Anstachlung zur Aufruhr hervor gingen (hier einige seiner Cartoons). Berichte der letzten Woche lassen jedoch vermuten, dass er unter Folter im Gefängnis starb und in einem Massengrab verscharrt wurde.

In diesem Video der Friedlichen Syrischen Bewegung erklärt ein Aktivist, wie aus seiner Sicht, das Regime es geschafft habe, die AlawitInnen Syriens in Geiselhaft zu nehmen. Er zeigt auf, wie Alawiten unter dem Regime gelitten haben, aber auch, wie dadurch, dass der Eintritt in den Sicherheitsapparat ein sozialer Aufstieg bedeutete, das Regime die ärmsten AlawitInnen ökonomisch an sich gebunden habe. Das Video macht deutlich, dass diese Erklärungen der Position vieler AlawitInnen wichtig sind, jedoch keine Verteidigung darstellen soll. Die Zusammenarbeit mit jenen AlawitInnen jedoch, die kritisches Bewusstsein haben, müsse unbedingt stattfinden. Das Video ist vor allem an SyrerInnen in Syrien gerichtet und möchte konfessionellen Spannungen vorbeugen.

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