Neuerscheinung: Syrien in Trümmern – und jetzt?

Der Wiederaufbau Syriens ist eine Jahrhundertaufgabe. Der Westen muss einen Weg finden, den Menschen zu helfen, ohne das Assad-Regime zu stärken. In einer neuen Adopt-a-Revolution-Studie beleuchten syrische Ökonomen und Sozialwissenschaftler Strategien, Akteure und Interessen.

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Seit Beginn des Kriegs wurden in Syrien die Hälfte aller Krankenhäuser und ein Viertel der Wohngebäude zerstört. Etwa zwei Drittel der SyrerInnen leben in extremer Armut, Millionen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, noch immer sind an die 50 Prozent der Bevölkerung vertrieben, ins Ausland, aber der Großteil im Land selbst. Eines ist klar: Diese Menschen brauchen Unterstützung. Und so bewegt eine drängende Frage die westliche Politik: Wie kann man das Land wieder aufbauen, Perspektiven schaffen und die Not lindern, die letztlich stets auch ein Nährboden für den Extremismus ist, ohne dabei zugleich die Assad-Diktatur zu stabilisieren?

Wiederaufbau – einzig damit Flüchtlinge zurückkehren?

Für den Wiederaufbau des Landes werden Kosten von 200 bis 400 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Eine gewaltige Summe, erst recht für ein Land, dessen Wirtschaft in Folge der Zerstörung am Boden liegt. Die engsten Alliierten des Assad-Regimes, Russland und der Iran, denken überhaupt nicht daran, diese Aufgabe zu schultern, und wären dazu wohl auch nicht in der Lage. Im Gegenteil wollen sie für ihre Unterstützung der letzten Jahre noch ausbezahlt werden: Experten schätzen, dass Russland sich schon jetzt einen größeren Anteil der natürlichen Ressourcen Syriens einverleibt hat, als die USA im Irak nach 2003. Derweil wirbt Wladimir Putin im Westen für Wiederaufbauhilfen mit dem Versprechen, so könne Europa syrische Flüchtlinge schneller wieder loswerden.

Auch die Geschäftsmänner und Milizionäre, die sich auf Seiten des Regimes gestellt haben, verlangen ihren Teil des Kuchens. Für sie wurde das Dekret Nr. 10 entworfen, das de facto die Enteignung weiter Teile die Bevölkerung ermöglicht: Lokale Verwaltungen können Stadtviertel als Entwicklungszonen deklarieren und sie so Investoren anbieten. Nur wer binnen einer Frist Eigentumsrechte nachweist, kann eine Entschädigung verlangen, oft jedoch weit unter dem Marktwert. Flüchtlinge im Ausland oder in anderen Landesteilen, die aus Sicherheitsgründen nicht zurück können, haben da kaum Chancen. Die Neubaupläne in entsprechenden Gebieten wie Mezzeh, südwestlich von Damaskus, sehen gläserne Hochhäuser und Einkaufszentren vor. Für die ursprünglich dort ansässige Bevölkerung, Arbeiter und einfache Angestellte, wird es wohl keinen Platz mehr geben.

Den Wiederaufbau übernehmen dann dem Regime nahestehende Geschäftsmänner, die so für ihre Loyalität belohnt werden. Der syrische Wirtschaftsjournalist Jihad Yazigi konstatiert, das Projekt in Mezzeh mache „wenig Sinn“, könne jedoch „absurde Profite für einige wenige Individuen generieren“. Einige europäische PolitikerInnen fordern bereits, sich am Wiederaufbau zu beteiligen – in der Hoffnung, in Syrien wieder Einfluss zu gewinnen und das Regime so zu demokratischen Reformen drängen zu können. Das aber ist naiv. Das Assad-Regime hat sich jahrelang selbst kleinsten Konzessionen verwehrt – es wird den europäischen Staaten nun also kaum gelingen, die Diktatur durch das Locken mit Wiederaufbauhilfen zu beenden. Das syrische Regime hat mehr als sieben Jahre lang zigtausende Menschenleben vernichtet – damit alles so bleibt, wie es war. Das zeigt: Assad wird kaum politischen Wandel gegen Geld für Wiederaufbau tauschen.

Jetzt lesen oder bestellen: Unsere neue Studie mit Beiträgen von Joseph Daher, Jihad Yazigi, Salam Said und Alhakam Shaar.

Der Westen ist naiv

Vielmehr spricht einiges dafür, ein Wiederaufbau unter der Ägide des korrupten Regimes könnte die Ursachen für den Konflikt weiter verschärfen: Seine Sicherheitsorgane und Wirtschaftseliten handeln noch brutaler, willkürlicher und korrupter. Die ungerechte Verteilung von Ressourcen, Chancen und Macht wird noch eklatanter. Im schlimmsten Fall würde Europa, sollte es beim Wiederaufbau helfen, mit Steuergeldern diese Kriegsgewinnler für ihre Taten belohnen.

Ausführliche Hintergrundartikel zur Diskussion um den Wiederaufbau in Syrien haben wir in einer neuen Publikation zusammengetragen. Gerne schicken wir Ihnen ein gedrucktes Exemplar zu. Unter folgendem Link finden Sie die Online-Version:

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