Abdulhamid Hana züchtet Tauben auf seinem Dach in Raqqa.

Nordostsyrien zwischen Demokratisierung und IS-Terror

Laufend Angriffe aus der Türkei, der sog. “Islamische Staat” ist weiter aktiv und die Selbstverwaltung Nordostsyriens regiert allzu oft autoritär. Die Herausforderungen für die syrische Zivilgesellschaft im Nordosten des Landes sind gewaltig. Wie gehen Aktivist*innen mit ihnen um?

Abdulhamid Hana züchtet Tauben auf seinem Dach in Raqqa.
Ziviles Zentrum PÊL – Civil Waves
Mit 40 Mitarbeiter*innen zählt unsere langjährige Partnerorganisation PÊL zu den größeren NGOs in Nordostsyrien. Neben humanitärer Nothilfe in Krisenzeiten

Ende Januar 2022 greifen dutzende IS-Kämpfer ein Gefängnis in Hasakah an, um dort inhaftierte IS-Angehörige zu befreien. Das Stadtviertel, in dem das Gefängnis liegt, wird über Tage zum Kriegsgebiet, zehntausende Bewohner*innen müssen fliehen. Erst nach über einer Woche haben die Streitkräfte der kurdisch geprägten Selbstverwaltung die Situation wieder unter Kontrolle. Aber der Angriff hat nachhaltige Folgen für die ganze Region.

Wir arbeiten jahrelang daran, den Zusammenhalt zwischen den Bevölkerungsgruppen zu stärken, werben für Toleranz und Dialog. Und dann kommt der IS und macht alles Vertrauen zunichte.

Diyar, Aktivist unserer Partnerorganisation PÊL – Civil Waves aus Qamishli

Seit Jahren bringt PÊL unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammen, um für gegenseitiges Verständnis und einen offenen, demokratischen Diskurs zu werben. Doch bewaffnete Konflikte säen Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen – seien es Terrorangriffe des IS oder Angriffe der Türkei.

Frauenprojekt Sawiska
Soziales, ökonomisches und politisches Empowerment von Frauen – das ist das Programm der Fraueninitiative Sawiska.

Wenn Diyar erklärt, was ihn trotz aller Rückschläge motiviert, erzählt ner von einer großen Jugendkonferenz in Raqqa, der ehemaligen Hauptstadt des IS-Kalifats. Bis heute liegt die Stadt in Trümmern. »Wir wollen Jugendlichen vermitteln, wie man sich organisiert, um etwas für die lokalen Communities zu erreichen.« Dafür braucht es eine offene Diskussionskultur.
Dort, wo IS-Herrschaft und Assad-Diktatur bis heute nachhallen, ist das nicht selbstverständlich.

Unsere Partnerinnen von Sawiska beim Besuch der Frauenkommune Jinwar

Politik muss Rede und Antwort stehen

Medienprojekt Welat-Magazin
Das Welat-Magazin war eines der ersten
Medien Syriens, das auf kurdisch publizierte, was in der Diktatur verboten war.

Dass junge Männer und Frauen zusammenkommen, wäre unter dem IS unvorstellbar gewesen, und dass sich Politiker*innen kritische Fragen gefallen lassen, ist in Syrien weiterhin alles andere als selbstverständlich.

Diyar
Baumpflanzung in Raqqa

Zu den Diskussionen lädt PÊL Vertreter*innen der Selbstverwaltung ein, damit sie den Jugendlichen Rede und Antwort stehen. „Die Leute aus den Ministerien müssen die Sorgen der Leute hören. Und den Jugendlichen möchten wir zeigen, dass Kritik üben dazu gehört“, sagt Diyar. Trotz eines demokratischen Anspruchs bleibt die Kluft zwischen Selbstverwaltung und Bevölkerung vielerorts groß.

»Die Jugendkonferenz war ein echter Erfolg! Die Jugendlichen wurden in den Diskussionen zusehends aufgeschlossener und selbstbewusster – weil die Vertreter*innen der Behörden wirklich zugehört haben. Wir müssen viel öfter Räume schaffen, in denen junge Menschen ohne Angst und Misstrauen öffentlich miteinander reden.« sagt Diyar.