Netzschau: Bürgerkriegs-Frage, radikale Islamisten, Chemiewaffenstreit und US-Außenpolitik

Handelt es sich bei dem Konflikt in Syrien um einen simplen Kampf zwischen Gut (das Volk) und Böse (der Tyrann) oder doch um einen fragmentierten Bürgerkrieg? Der in Syrien ausgebildete Verfassungsrechtler Dr. Naseef Naeem befürchtet Letzteres. In einem Artikel für die Online-Ausgabe der Orient-Zeitschrift „zenith“ wirft er die Frage auf, inwiefern einige der sunnitisch dominierten […]

Handelt es sich bei dem Konflikt in Syrien um einen simplen Kampf zwischen Gut (das Volk) und Böse (der Tyrann) oder doch um einen fragmentierten Bürgerkrieg? Der in Syrien ausgebildete Verfassungsrechtler Dr. Naseef Naeem befürchtet Letzteres. In einem Artikel für die Online-Ausgabe der Orient-Zeitschrift „zenith“ wirft er die Frage auf, inwiefern einige der sunnitisch dominierten Oppositions- und Rebellengruppen einen religiösen Feldzug gegen die syrischen Alawiten führen. Diese würden, so der Hintergrund, seit Jahrzehnten von der vielleicht wichtigsten Autorität im sunnitischen Islam, der Kairoer Azhar-Universität, diskreditiert. So erkenne die Lehranstalt die Alawiten seit 1934 nicht als islamische Religionsgemeinschaft an. Zudem berufe sie sich bei ihrer Argumentation auf die Schriften des Gelehrten Ibn Abidin, wonach Angehörige dieser Gemeinde als Abtrünnige zu behandeln und demnach zu bekämpfen und zu töten seien. Sollten sich Teile der Aufständischen also auf diese Rechtsmeinung stützen, wäre der Kampf der Alawiten gegen einen Systemwechsel „sogar als eine legitime Selbstverteidigung gegen einen sunnitischen religiösen Feldzug zu deuten“, so der Autor. Ähnlich argumentiert er auch in einem Video-Interview mit zenith-Chefredakteur Daniel Gerlach, in welchem die konfessionelle Komplexität des Konfliktes noch einmal näher diskutiert wird.

Wie stark die sunnitisch-extremistische Strömung im Syrien-Konflikt ist, lässt sich nur schwer feststellen. Auf ihre wachsende Bedeutung deuten nun allerdings neueste Erhebungen hin. Der Syria Conflict Monitor (SCM) veröffentlichte kürzlich Ergebnisse einer Medienanalyse, bei der zahlreiche YouTube-Videos von Oppositionsgruppen analysiert wurden. Dabei stellte man fest, dass sich darin immer weniger Kämpfer zur Freien Syrischen Armee (FSA) bekennen würden. Gleichzeitig wachse jedoch die Zahl derjenigen Videos, in denen die Oppositionstruppen islamistische Ideologien propagierten. Der Grund hierfür liege in der mangelnden Unterstützung der westlichen Staaten für die bewaffnete Opposition, so der anonym bleibende SCM-Gründer gegenüber „Syria Deeply“. Zusätzlich dazu trage der taktische und finanzielle Erfolg der religiösen Extremisten dazu bei, dass immer mehr Kämpfer deren ideologische Konzepte übernehmen.

Dass ebendiese islamistischen Rebellen und andere Aufständische für eine Reihe schwerer Verbrechen in Syrien verantwortlich sind, bestreitet Carroll Bogert nicht. Dennoch kritisiert die hochrangige Mitarbeiterin von Human Rights Watch die russische Regierung scharf für deren Behauptung, die syrische Opposition sei für die verheerende Giftgas-Attacke vom 21. August verantwortlich. Nach Ansicht der Autorin lasse die Beweislage keine andere Schlussfolgerung zu, als das Assad-Regime für den Angriff verantwortlich zu machen. Darauf deute nicht nur der vielbeachtete Bericht der UN-Experten hin, sondern auch eine eigens von Human Rights Watch durchgeführte Analyse. In dem 21-seitigen Dokument konstatiert die Nichtregierungsorganisation unter anderem, dass das Gas von zwei Raketensystemen transportiert wurde, welche allem Anschein nach dem Assad-Regime zugeschrieben werden können. Zudem sei nicht davon auszugehen, dass die syrische Opposition über derartige Mengen an Sarin verfüge, wie es in Ghuta zum Einsatz kam. Weiterhin liege eine bekannte Militärbasis der regimetreuen Republikanischen Garde in einem Radius, welcher der Reichweite der eingesetzten Raketen entspreche. Der komplette Bericht von Human Rights Watch kann online eingesehen werden.

Russlands internationaler Gegenspieler im Syrien-Konflikt, die USA, sind Teil eines Kommentars des arabischen News-Portals „Now.“. Dabei widmet sich der Autor der Rede Barack Obamas vor der UN-Generalversammlung am vergangenen Dienstag. Darin habe der amerikanische Präsident eine Sichtweise auf die Lage in Syrien offenbart, welche den traditionellen Verbündeten der USA in der Region vor den Kopf stoße. So zeige Obama kein Interesse daran, auf syrischem Boden einen geostrategischen Rückzug Irans zu erzwingen, weshalb er auch Teheran dazu aufrufe, seinen Einfluss in dem Land geltend zu machen und sich an der Erarbeitung einer politischen Lösung des Konfliktes zu beteiligen. Dies stelle, so der Autor, einen fundamentalen Gegensatz zur israelischen oder Saudi-arabischen Bewertung der gegenwärtigen Situation dar. Beide Staaten seien nämlich sehr daran interessiert, den iranischen Einfluss auf die syrische Regierung, von wem auch immer sie jetzt oder in Zukunft geführt wird, zu begrenzen. Speziell für Israel, seines Zeichens engster US-Verbündeter im Nahen und Mittleren Osten, betrachte die Achse Iran-Assad-Hisbollah als große Gefahr für die nationale Sicherheit und würde diese Verbindung lieber heute als morgen gekappt sehen.


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