UN von Flüchtlingszahl überfordert, Nationale Koalition enttäuscht von Rom-Konferenz, Eindrücke aus Aleppo – Netzschau 01. März

Spiegel-Online berichtet, die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos sehe die UN außer Stande, Hunderttausende syrische Flüchtlinge ausreichend zu versorgen. Von den bei einer Geberkonferenz zugesagten 1,5 Milliarden Dollar seien zudem erst 200 Millionen bei der UN eingetroffen. Wie beim UNHCR ersichtlich, wird wohl in den kommenden Tagen! die Zahl der Flüchtlinge eine Million übersteigen. Weiterhin berichtet SPon […]

Spiegel-Online berichtet, die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos sehe die UN außer Stande, Hunderttausende syrische Flüchtlinge ausreichend zu versorgen. Von den bei einer Geberkonferenz zugesagten 1,5 Milliarden Dollar seien zudem erst 200 Millionen bei der UN eingetroffen. Wie beim UNHCR ersichtlich, wird wohl in den kommenden Tagen! die Zahl der Flüchtlinge eine Million übersteigen. Weiterhin berichtet SPon heute, dass syrische Rebellen einen Grenzposten zum Irak eingenommen hätten. Zudem eine schreckliche Nachricht: Die Opposition beschuldigt Regierungskräfte, in dem Dorf Malkije bei Aleppo 72 Dorfbewohner in einem Massaker grausam ermordet zu haben. Es konnten nur 49 Opfer identifiziert werden, da 23 Opfer verbrannt wurden. Unter den Opfern seien auch Frauen, Kinder und Senioren.

Gestern fand in Rom ein Treffen der „Freunde Syriens“ auch mit Beteiligung der USA und der Nationalen Koalition (NC) unter Moaz al-Khatib statt. US-Außenminister Kerry sagte der NC dabei 60 Millionen Dollar zu, die humanitäre Unterstützung und Versorgung in befreiten Gebieten Syriens ermöglichen sollen, wie Peter Winkler für die NZZ schreibt. Dies sei ein neuer Akzent in der amerikanischen Syrien-Politik. So sollen islamistische Kräfte eingedämmt werden, denn bislang sind sie fast die einzigen, die soziale Dienste anbieten. Islamistische Kräfte präsentieren sich damit als Anwärter künftiger Regierungsverantwortung, was die USA dringend vermeiden wollen. Winkler sieht die 60 Millionen jedoch eher als symbolisch, weitere Hilfen der USA stünden nach diesem ersten Schritt an.

Jürg Bischoff meint ebenfalls in der NZZ, dass die neuen Zusagen der USA eher frustrierend seien. Die Lieferung von Waffen an Rebellen wurde in Rom weiterhin eindeutig abgelehnt. Für den Plan der NC, eine Regierung für die befreiten Gebiete zu etablieren, reichten die 60 Millionen bei weitem nicht. Die neue Regierung soll in befreiten Gebieten weitreichende infrastrukturelle Versorgung, Sicherheit und Rechtsprechung gewährleisten, dafür bräuchte man hunderte Millionen Dollar. Solch eine Regierung wäre eine Alternative zum Regime in Damaskus, aber auch zu entstehenden islamistischen Regimen. Das geplante Treffen zur Wahl eines Regierungschefs am Samstag wurde dann auch von der NC abgesagt.

Einen sehr pessimistischen Blick auf das Geschehen in Syrien zeichnet Michael Stürmer in der WELT. Er sieht ein Ende des syrischen Staates herannahen, unter Wegschauen der Medien. Eine Chance für Verhandlungen zwischen den syrischen Kriegsparteien sieht er nicht, die vielfältigen außenpolitischen Akteure samt ihren Agenden sind sowieso zahlreich. Der Westen verhalte sich passiv, weil er ratlos sei. Selbst nach einem Zerfall des Staates sieht Stürmer lange Kämpfe zwischen den Hegemonialmächten Iran und Saudi-Arabien in der Region. Anders argumentiert Gudrun Harrer für den Standard: Gerade weil mittlerweile alle äußeren Akteure den Kollaps des Staates fürchteten, veränderten sich die Positionen. So übe Moskau zunehmend Druck aus, um Assads politisches Ende zu erwirken. Die USA versuchten derweil, ihre Unterstützung strategisch einzusetzen, v.a. gegen die sunnitischen Extremisten. So träfen sich die Interessen der Großmächte, was zugleich die letzte Hoffnung für ein rasches Ende des Krieges sei. Beide, Harrer wie Stürmer, teilen jedoch eins: Sie machen die Rechnung ohne die Syrer vor Ort.

Eindrücke aus Aleppo hat Gabriele del Grande für die taz festgehalten. Trotz des Kriegs sei in Aleppo eine zivile Bewegung entstanden, die versucht, die Grundversorgung zu gewährleisten. Diese Bewegung sei unter Kontrolle gemäßigter islamistischer Strömungen, der neuen „Islamischen Front für die Befreiung Syriens“, die der FSA nahesteht. Die Islamische Front will zwar einen islamischen Staat, aber die Rechte aller Minderheiten achten. Geld erhalte sie von syrischen Geschäftsleuten, den Regierungen von Katar und der Türkei. Wer allerdings bislang kein Geld schickt: die Nationale Koalition. Starke Konkurrenz erwächst der Islamischen Front jedoch von der islamistischen Jabhat al-Nusra, die in Aleppo großzügig humanitäre Hilfe leistet. Zudem hätte al-Nusra kriminellen Umtrieben einiger FSA-Gruppen ein Ende gesetzt. Dafür entet sie Respekt bei den Bewohnern von Aleppo, jedoch herrscht auch große Furcht vor dem radikalen Islamverständnis der al-Nusra vor. Ein FSA-General ist sich daher sicher, dass die vielfältige syrische Gesellschaft einen anderen Weg einschlagen wird. Einen Weg, der die Minderheiten mit einschließt und die Geschichte und Kultur Syriens wahrt.

Ein FOCUS-Bericht aus Aleppo porträtiert eine ehemalige Englischlehrerin, die nun als Scharfschützin auf Seiten der Rebellen kämpft. Zu Beginn der Proteste ging sie mit auf die Straße, später schmuggelte sie Medikamente und Nachschub an die Rebellen. Zur Kämpferin wurde sie erst nach dem Verschwinden ihrer Kinder, als Schabiha ihr Haus niederbrannten. Über den aufkommenden neuen Feind der Revolution, die Jabhat al-Nusra, meint die Scharfschützin: „Diese Leute nerven“, […]. „Einer von ihnen wollte mir schon verbieten, Jeans und Make-up zu tragen. Aber auch sie werden unsere Revolution nicht aufhalten können.“

Greenpeace berichtet, dass auch innerhalb palästinensischer Milizen in Syrien Spaltungen aufkämen. So hätte sich ein „Freies Kommando“ der ansonsten Assad-treuen „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ gegründet, dass sich so gegen die Unterstützung Assads durch den Anführer Ahmed Dschibril wendet.

David Rohde stellt in seinem Artikel „How Syria is Becoming Bosnia“ verschiedene Meinungen und Artikel zusammen. Der Artikel dreht sich um die Politik der USA, eher passiv dem Geschehen in Syrien zuzuschauen. Rohdes Fazit: „[…] [T]he White House is sending a clear message across the Middle East: American and Israeli lives matter, not Syrian ones. The figure is 70,000 and counting. That number will come back to haunt us.”


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