Krieg der Lieder & überraschende Allianzen – Presseschau 15. März 2014

Inna Lazareva beschreibt auf Al-Monitor die überraschend anmutende Behandlung verletzter SyrerInnen im Western Galilee Medical Center in Israel. Allein im letzten Jahr versorgte das Krankenhaus 230 verletzte SyrerInnen, über 40% von ihnen Frauen und Kinder. Die Kosten werden in Israel aufgeteilt zwischen dem Ministerium für Gesundheit, dem Bundesministerium für Verteidigung sowie den einzelnen Krankenhäusern. Während […]

Inna Lazareva beschreibt auf Al-Monitor die überraschend anmutende Behandlung verletzter SyrerInnen im Western Galilee Medical Center in Israel. Allein im letzten Jahr versorgte das Krankenhaus 230 verletzte SyrerInnen, über 40% von ihnen Frauen und Kinder. Die Kosten werden in Israel aufgeteilt zwischen dem Ministerium für Gesundheit, dem Bundesministerium für Verteidigung sowie den einzelnen Krankenhäusern. Während das Assad-Regime jede Gelegenheit wahrnimmt, diese Versorgungsmöglichkeit auf eine angebliche Zusammenarbeit zwischen Israel und den syrischen Rebellen zurückzuführen, wächst die Anzahl der schwerverletzten Patienten weiter an. Viele von ihnen haben neben physischen auch psychische Leiden erlitten. Dr. Yoav Hoffmann, Oberarzt in der Kinder-Intensivstation des Krankenhauses, berichtet von absichtlichen Schüssen auf die Wirbelsäulen der Kinder, um sie nicht zu töten, sondern leiden zu lassen. Nach veralteten UN-Schätzungen sind bisher mindestens 10.000 Kinder im syrischen Konflikt ums Leben gekommen; die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Die Reise der Verletzten nach Israel dauert oftmals mehrere Tage. Obwohl so wertvolle Zeit für den Behandlungsprozess verloren geht, konnten im oben genannten Krankenhaus die meisten Patienten gerettet werden. Von 230 Patienten verstarben 25 Menschen. Eine Behandlung in Israel stellt bei der Rückkehr nach Syrien jedoch eine lebensbedrohliche Gefahr dar, nichts darf auf den Behandlungsort hindeuten. Bei gespendeter Kleidung werden z.B. die hebräischen Etiketten abgeschnitten und Geschenke sorgfältig überprüft.

Mariam Abdullah berichtet für Damascus Bureau über den Krieg der Lieder zwischen den Unterstützern der Opposition sowie denen des Regimes. Die Texte geben Einsicht auf die Situation aus bestimmten Perspektiven und präsentieren die Transformationen, welche die syrische Gesellschaft erfahren hat. Jede Seite versucht, ihre Songs im psychologischen Krieg gegen den anderen einzusetzen. Beide Seiten konkurrieren so um eine emotionale Bindung zum Zuhörer. Oppositionsnahe Lieder verzichten in der Regel darauf, bestimmte Personen zu verherrlichen. Sie konzentrieren sich auf das Leiden, die Tragödie der zerstörten Städte und verwundeten Kinder, begleitet von Aufnahmen aus den bombardierten Gebieten. Viele Songs verzichten auf traditionelle Melodien und benutzen moderne Rhythmen. Die Videos zeigen den menschlichen Tribut von Müttern, Kindern und Flüchtlingen. Bilder von Gewalt sind viel häufiger zu sehen. Regimenahe Lieder unterstreichen dagegen die Idee der Aufopferung zum Wohle der Nation. In vielen Songs taucht das Wort Blut auf. Bashar Al-Assad wird in der Regel glorifiziert, da er als tapferer Verteidiger und weiser Führer der Nation dargestellt wird. Die Lieder verherrlichen ebenso die Armee des Regimes. Pro-Regimelieder sind dazu mit schnelleren Rhythmen versehen sowie optimistischer gestaltet, um eine emotionale patriotische Reaktion aufzurufen.

Vyan Mohammad beschreibt, ebenfalls auf Damascus Bureau, die Anstrengungen vieler Kurden in Qamishli, ihre Muttersprache zu erlernen. Zwar können sie sich in der kurdischen Sprache artikulieren, kennen jedoch nicht die grammatischen Regeln. Geschuldet ist dies dem jahrzehntelangen Verbot seitens der Ba’ath-Partei, die kurdische Sprache zu lehren. Die Stiftung für die kurdische Sprache ist eine Institution der Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP). Diese nutzte die geringe Präsenz von Regime-Sicherheitskräften und beschloss im letzten Studienjahr, in staatlichen Schulen auch Kurdisch anzubieten. Mehr als 200 Sprachlehrer sind bei der Stiftung in Beschäftigung, welche auf freiwilliger Basis arbeiten. Sie wurden neben den offiziellen Beamten in die Schulen geschickt. Kaum hatte der Unterricht begonnen, beschloss die Ba’ath-Partei, diese Schulen zu schließen und alle Lehrer an ihrer Arbeit zu hindern. Die kurdischen Sprachlehrer bestanden darauf, weiterhin zu lehren und rekrutierten Studenten für die übrigen Fächer. 45 Tage nach der Schließung kamen beide Seiten zu einem Kompromiss. Die Vereinbarung erlaubt die Lehre der kurdischen Sprache, verringert allerdings den Unterricht von Musik, Kunst und Sport. Das Einlenken des Assad-Regimes wird als Angst vor einem Konflikt mit der DTP verstanden. Die Stiftung für die kurdische Sprache plant nun ein neues Projekt, um die Lehre in allen kurdischen Gebieten auszuweiten.

Lakhdar Brahimi, der UN-Sondergesandte für Syrien, hat sich gegen die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Syrien ausgesprochen (ARA News). Assad hat zwar noch nicht offiziell bekanntgegeben, ob er für eine dritte Amtszeit kandidieren werde. In den vom Regime kontrollierten Teilen des Landes seien jedoch Vorbereitungen für seine Kandidatur unverkennbar. Brahimi befürchtet, dass die Opposition jegliche Gespräche mit dem Regime ablehnen wird, wenn die Wahl wie geplant stattfinden sollte. In Brahimis Augen signalisiere eine Kandidatur von Assad eine mangelnde Ernsthaftigkeit seitens der Regierung in punkto Friedensprozess.

Raphael Lefèvre geht bei Carnegie Endowment auf die sunnitische Pro-Assad-Allianz im Libanon ein, die v.a. im nördlichen Tripolis verwurzelt ist. Seit ihren offenen Bekundungen zum Assad-Regime ist die Allianz unpopulär geworden, da viele sunnitische Muslime im Libanon die syrischen Rebellen unterstützen. Gleichzeitig hat die Allianz unter der syrischen Schirmherrschaft jedoch Zugang zu Geldern, Waffen und politischen Verbindungen erlangt. Vor allem in Tripolis, einer nordlibanesischen Hafenstadt, sind dieser Gegensatz und die resultierende Spannung deutlich geworden. In den letzten Monaten wurden mehrere führende Persönlichkeiten der Pro-Assad-Allianz ermordet. Die pro-Assad-Allianz ist bei weitem nicht homogen, verschiedene Interessen liegen vor. Während einige Fraktionen mit der Hisbollah sympathisieren, entschlossen sich andere allein aus pragmatischen Gründen fürs pro-Assad-Lager. Für letztere ist es eine Frage der muslimischen Solidarität angesichts der empfundenen israelischen und westlichen Feindseligkeit gegenüber Syrien. Zudem solle so die Abwendung von fitna, einer Zwietracht innerhalb des Islams, erreicht werden. Die Erörterungen Lefèvres widerlegen das gängige Narrativ, wonach sich die Konfliktparteien in Syrien und Libanon einfach entlang konfessioneller Linien einteilen lassen.

Für eine wöchentliche Zusammenfassung unserer Beiträge im Syrischer Frühling-Blog schicken Sie uns doch einfach eine E-Mail an: newsletter[ätt]adoptrevolution.org.

Dieser Beitrag ist lizensiert als Creative Commons zur freien Verwendung bei Namensnennung. Bei kommerzieller Weiterverwendung bitten wir um eine Spende an Adopt a Revolution.