Frederic Hof: „Genug Zündstoff, um Syrien am Brennen zu halten“

Am 28. Mai 2015 organisierte Adopt a Revolution in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung die internationale Syrien-Konferenz “Syrien in der Sackgasse? – Ansätze und Perspektiven für eine politische Lösung” in Berlin. Hier lesen Sie ein Interview von Jannis Hagmann mit Keynote-Speaker Frederic C. Hof. Zur Konferenz-Dokumentation Der „Islamische Staat“ darf nicht weiter Wurzeln schlagen, sagt Frederic […]

Am 28. Mai 2015 organisierte Adopt a Revolution in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung die internationale Syrien-Konferenz “Syrien in der Sackgasse? – Ansätze und Perspektiven für eine politische Lösung” in Berlin. Hier lesen Sie ein Interview von Jannis Hagmann mit Keynote-Speaker Frederic C. Hof.

Zur Konferenz-Dokumentation

Frederic C. Hof. Foto: Stephan Röhl.
Der „Islamische Staat“ darf nicht weiter Wurzeln schlagen, sagt Frederic C. Hof, ein ehemaliger Berater der US-Regierung. Er fordert eine Stabilisierungstruppe für Syrien, die wenn nötig auch gegen das Assad-Regime kämpft. Foto: Stephan Röhl.

Frederic C. Hof ist Forschungsleiter am Rafik Hariri Center for the Middle East beim Atlantic Council. Im März 2012 verlieh Präsident Obama ihm den Rang eines Botschafters im Zusammenhang mit seiner neuen Aufgabe als Sonderberater für den Übergang in Syrien. Zuvor war Hof Sonderkoordinator für regionale Angelegenheiten im US Department im Büro des Sondergesandten für den Nahost-Friedenprozess, wo er den Sondergesandten George Mitchell beriet. Hof trat dem State Department 2009 bei. 2001 war er Direktor der Jerusalem-Feldoperationen des Scharm el-Scheich-Ermittlungsausschusses, geleitet vom ehemaligen Senator George Mitchell, und leitender Verfasser des Abschlussberichts. Hof ist Absolvent der Georgetown Universität. Er studierte Arabisch am Foreign Service Institute in Tunesien und erhielt seinen Master-Abschluss von der Naval Postgraduate School. Seine berufliche Laufbahn begann Hof als Offizier der US-Armee.

Herr Hof, die USA haben begonnen, in großem Ausmaß syrische Rebellen auszubilden. Sie haben das Train-&-Equip-Programm als „koloniales Unterfangen“ kritisiert. Warum?

Ich persönlich betrachte das Programm nicht unbedingt als koloniales Unterfangen. Jedoch läuft jede Initiative, die nicht unter syrischer Führung steht und der eine starke syrische Beteiligung fehlt, Gefahr, von den Syrern als solches gesehen zu werden. Meine Kritik ist vor allem, dass 16.000 Soldaten zu wenig sind und der Ausbildungszeitraum von drei Jahren zu lang ist.

Warum haben sich die USA dafür entschieden?

Das Train-&-Equip-Programm steht in engem Zusammenhang mit den Luftschlägen der internationalen Koalition gegen Daesh (Islamischer Staat, d. Red.). Eine der Weisheiten der Militärwissenschaft ist, dass sich aus der Luft allein keine entscheidenden Ergebnisse herbeiführen lassen, wenn der Feind über sehr mobile Bodentruppen verfügt. Man braucht Kampfverbände auf dem Boden. In den syrischen Gegenden, in denen Daesh herrscht, gibt es solche kaum.

Kritiker bemängeln, dass die Luftschläge auch deshalb so ineffektiv sind, weil zu wenig Angriffe geflogen würden.

Diese Kritik hört man von syrischen Oppositionellen und sogar aus dem Pentagon. Eine Erklärung für die geringe Anzahl ist die verständliche Angst vor zivilen Opfern. In Rakka zum Beispiel wurden Gebäude klar als Operationsorte von Daesh identifiziert. Doch in und um die Gebäude gab es Zivilisten.

Mit mangelndem Willen oder einer fehlenden Langzeitstrategie hat das nichts zu tun?

Wenn die USA und ihre Koalitionspartner Zieldaten hätten, mit denen sich zivile Opfer ausschließen ließen, würden sie die Anzahl der Luftschläge verdrei- oder vervierfachen.

Es wird viel über den Kampf gegen Daesh geredet. Von einer politischen Lösung des Syrienkonflikts hört man kaum noch etwas.

Der Genf-Prozess ist momentan in der Schwebe. Der UN-Syrien-Beauftragte Staffan de Mistura lädt zur Zeit wichtige Akteure für intensive Konsultationen nach Genf ein. Doch er hat kein Druckmittel, um die verschiedenen Parteien, vor allem das Regime, zu zwingen, sich ernsthaft an einem diplomatischen Prozess zu beteiligen.

Kein Druckmittel? Damit wären wir wieder beim militärischen Ansatz.

Es muss eine militärische Dimension geben. Wenn sich die militärischen Kräfteverhältnisse nicht ändern, ist die Chance auf eine ausgehandelte Lösung gleich null. Das Assad-Regime ist an Verhandlungen derzeit nicht interessiert. Mit zwei Co-Autoren habe ich deshalb vorgeschlagen, dass die USA ihr Train-&-Equip-Programm ausweiten und eine ‘Syrische Nationale Stabilisierungstruppe’ schaffen. Ihr Auftrag wäre, jede Kombination von Gegnern zu bekämpfen, die der Befriedung des Landes im Weg stehen. Idealerweise würde bereits die Absicht, diese Truppe zu schaffen, Interesse an einem politischen Prozess wecken. Sie wäre auch attraktiv für jene Syrer, die noch immer das Regime unterstützen, weil sie keine vernünftige und zivilisierte Alternative sehen.

Worin unterscheidet sich Ihr Vorschlag von dem Train-&-Equip-Programm?

Erstens wäre die Stabilisierungstruppe dreimal so groß, hätte also etwa 50.000 Mann, drei motorisierte Divisionen. Zweitens wäre der Auftrag ein anderer. Die Militärmission würde auf die Stabilisierung von ganz Syrien abzielen. Der anfängliche Fokus könnte auf Daesh liegen, aber letztlich wäre der Auftrag die Stabilisierung des gesamten Landes.

Die Truppe würde also gegen die Armee von Baschar al-Assad kämpfen?

Wenn nötig müsste sie all jene militärisch bezwingen, die einer Stabilisierung im Weg stehen. Das würde das Regime mit einschließen. Auf viele Syrer könnte das wiederum anziehend wirken. Denn es ist schwierig, Syrer für einen einseitigen Einsatz gegen Daesh zu gewinnen, während das Regime Fassbomben abwirft und die Bevölkerung verhungern lässt.

Aber wer wäre die politische Kraft hinter einer solchen Truppe? Wer trifft die Entscheidungen?

Eine der Schwierigkeiten ist, dass die Opposition uneinig und disfunktional ist. Anfangs müssten Entscheidungen also in den Händen derer liegen, die die Truppe schaffen. Die USA wären dabei führend. Daher ist es essentiell, dass es von Anfang an einen syrischen Beraterstab gibt. Er würde den Zeitraum überbrücken, bis eine eigene syrische Befehlsstruktur aufgebaut ist. Später könnte in einer Sicherheitszone eine Regierung eingerichtet werden. Es wäre also ein syrisches Unterfangen, das von Alliierten unterstützt wird. Die syrische Identität ist essentiell.

Nur wird sich Barack Obama kaum für ein solches Vorhaben gewinnen lassen. Er bleibt keine zwei Jahre mehr im Amt und war im Syrienkonflikt bislang sehr zurückhaltend.

Zwei Jahre sind eine lange Zeit und die USA sind bereits im Krieg mit Daesh. Die Frage ist: Wie kann dieser Krieg effektiv geführt werden, wenn man zu dem Schluss gekommen ist, dass Bodentruppen jetzt notwendig sind und nicht erst in drei Jahren. Daesh drei Jahre Zeit zu geben, um weiter Wurzeln zu schlagen, ist inakzeptabel.

Sollte es nicht zu einer solchen Stabilisierungstruppe kommen, können Sie sich ein Ende des Kriegs wie im Libanon vorstellen? Dort wurde der Bürgerkrieg nach 15 Jahren mit einem politischen Kompromiss beendet, ohne dass eine Seite gewonnen hatte.

Der libanesische Bürgerkrieg ist ausgeblutet. Nach 15 Jahren waren alle Parteien und Nachbarländer überzeugt, dass es keinen Sinn macht, das Schlachten fortzuführen. Für Syrien kann das aber kein Ansatz sein. Im Libanon gab es kein Regime wie die syrische Regierung, das Massenmord als Überlebensstrategie nutzte. Es gab auch kein wirkliches Äquivalent zu Daesh. Es gibt in Syrien genug Zündstoff, um das Land auf unbestimmte Zeit am Brennen zu halten.

Interview: Jannis Hagmann.

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