Der Alltag unter Belagerung.

Geschäftsmodell Belagerung

Wie das syrische Regime und Rebellenmilizen Geld mit dem Elend der belagerten ZivilistInnen verdienen und so den Krieg mitfinanzieren.

Der Alltag unter Belagerung.

Es sind nicht die islamistischen Milizen oder die Rebellen, die die verheerenden Belagerungen des syrischen Regimes zuvorderst treffen. Wie die Fassbomben, die fast nur abseits der Front auf ziviles Gebiet fallen, weil sie aufgrund ihrer mangelhaften Präzision sonst die eigenen Truppen treffen könnten, richten sich auch die Belagerungen in erster Linie gegen die Zivilbevölkerung. Über eine Million Menschen sind laut siegewatch.org weiterhin betroffen. Die UN zählt gut 600.000. Das Middle East Institute beleuchtet nun in einer neuen Publikation die Kriegswirtschaft in Syrien, die sich rund um die eingeschlossenen Städte und Regionen gebildet hat.

Von dieser profitiert vor allem das Regime, aber auch auch die Rebellen verdienen mit. Ins Hintertreffen geraten – wie so oft – die ZivilistInnen. Die Kämpfer aller Parteien zweigen sowohl elementare Güter des täglichen Lebens ab, als auch nennenswerte Geldsummen. An den Checkpoints, die das Land durchziehen und den Zugang zu belagerten Gebieten versperren, sind Schmiergelder Alltag. So auch, wenn es zu Lieferungen von Lebensmitteln und anderen Gütern kommt.

Weil das syrische Regime gezwungen war den Sold seiner Soldaten zu kürzen, wird die Stationierung an einem Checkpoint regelrecht als eine Art „Lohnausgleich“ genutzt. So lange Soldaten mit der Bewachung einer entsprechenden Straßensperre beauftragt sind, ermutigt man sie dazu, sich die Taschen mit Bestechungsgeldern zu füllen. Von diesen Geldern darf die Truppe einen bestimmten Anteil behalten, der Rest wandert in die Kassen des Assad-Regimes. Im Frühjahr 2014 etwa, „besteuerten“ Soldaten der syrischen Armee jedes Kilo Lebensmittel, das in die östlichen Damaszener Vororte ging, mit umgerechnet zwei US-Dollar.

Selten zahlen die ZivilistInnen direkt für die Güter: Im Zentrum der Kriegswirtschaft stehen sogenannte „Makler“, Geschäftsmänner mit guten Kontakten in eine belagerte Stadt und zum Regime. Sie verhandeln über die Lieferung von Gütern mit der Administration in Damaskus und koordinieren den Austausch. Oft haben diese Geschäftsmänner sogar Verträge mit den höchsten Ebenen des syrischen Regimes geschlossen, die ihnen ein Monopol auf die Lieferung bestimmter Güter in das belagerte Gebiet gewährt. Als Gegenleistung für diese Verträge führen die Makler einen Teil ihrer Gewinne an das Regime ab. In den betroffenen Gemeinden werden die Güter dann oft so lange gelagert, bis der strategisch klügste Zeitpunkt zum Weiterverkauf erreicht ist – sprich: die Not so groß ist, dass die Makler den höchstmöglichen Preis erzielen. Bevor ZivilistInnen die Güter erwerben können, werden oft noch weitere Gebühren fällig. Diesmal an die lokale Rebellengruppe. In welchem Ausmaß letzteres geschieht, ist kaum nachvollziehbar.

Wie Armee und Milzen profitieren. Grafik: Middle East Institute
Wie Armee und Milzen profitieren. Grafik: Middle East Institute

Auf diese Makler sind auch die meisten NGOs angewiesen, wenn es um die Auslieferung von Hilfsgütern geht. Eine Organisationen schätzt, dass bis zu 90 Prozent der Hilfe, die man in die östlichen Vororte von Damaskus lieferte, zweckentfremdet wurde.

Bittere Ironie ist, dass diese Praktiken zwar den Krieg finanzieren, aber auch das Überleben der Bevölkerung sichern: Nicht um alle belagerten Städte bildet sich diese Art von Kriegswirtschaft. In Yarmouk und Madaya etwa, zwei der mit Abstand brutalsten Belagerungen im Laufe des Krieges, wurde der Schmuggel von regimetreuen Milizen unterbunden. Erst diese Praxis führte dazu, dass die Situation in beiden Fällen derart eskalierte.

In den belagerten Städten östlich von Damaskus hat man mittlerweile Tunnel gegraben, um die Checkpoints zu umgehen und Güter zu schmuggeln. Das hat zu einem Rückgang der horrenden Lebensmittelpreise geführt. Doch die Tunnel sind unter Kontrolle der Rebellengruppen, die ihren Anteil abzweigen.

Der bisher einzige Weg, um Hilfsgüter auszuliefern, ohne damit Regime und Rebellen mitzufinanzieren, sind die Hilfskonvois der Vereinten Nationen. Doch die UN lässt sich bis heute vom Assad-Regime diktieren, welche Gebiete wann und zu welchen Bedingungen beliefert werden. Im Mai diesen Jahres wurden etwa 41,5 Prozent der Hilfslieferungen nicht genehmigt, weitere 34 Prozent wurden stark reglementiert. Gewisse Güter, wie zum Beispiel Windeln, nicht erlaubt. Auf diese behielten die Makler ihr Monopol – trotz UN-Konvois.

Wollte die internationale Gemeinschaft sowohl gegen die Willkür des Regimes, als auch gegen die korrupte Kriegswirtschaft, ein Zeichen setzen, so wären Luftbrücken eine alternative Methode der Versorgung. Sie wären ein Signal an das Regime und könnten dazu führen, dass mehr Lieferungen über den Landweg genehmigt werden. Schon die Ankündigung einer Luftbrücke führte Anfang Juni zu Konzessionen seitens des Regimes und der Erlaubnis für die jüngsten Hilfslieferungen. Dabei ging es Assad darum, das Heft in der Hand zu behalten. Der UN-Beauftrage für Syrien, Staffan de Mistura, erklärte jedoch bereits, dass er sich keine Luftbrücken ohne die Kooperation mit Damaskus vorstellen könne. Auch gelten die Rosinenbomber der Politik als zu kostspielig, kompliziert und gefährlich.

Jan-Niklas Kniewel