Flucht nach Europa: Perspektive aus Syrien

In den letzten Wochen sind Zehntausende SyrerInnen in Europa angekommen, die aufgrund der prekären Lage ihre Heimat verlassen mussten. Diejenigen, die es bis hierher geschafft haben, kommen, wenn überhaupt, in den Medien nur sehr kurz zu Wort. Die Stimmen derjenigen, die weiter in Syrien leben, sind noch seltener zu hören. Wir haben mit AktivistInnen aus […]

In den letzten Wochen sind Zehntausende SyrerInnen in Europa angekommen, die aufgrund der prekären Lage ihre Heimat verlassen mussten. Diejenigen, die es bis hierher geschafft haben, kommen, wenn überhaupt, in den Medien nur sehr kurz zu Wort. Die Stimmen derjenigen, die weiter in Syrien leben, sind noch seltener zu hören. Wir haben mit AktivistInnen aus Syrien über die Flucht ihrer MitbürgerInnen gesprochen, die vor Ort weiter für eine Verbesserung der Lebensbedingungen streiten – und damit die beste Unterstützung leisten: Ursachen für Flucht bekämpfen. Lesen Sie Stimmen aus Syrien für Fluchtbewegung nach Europa!

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Ein Mann inmitten der Trümmer in Douma, Ost-Ghouta.

Umm Ahmad, Duma, Ost-Damaskus “Wir betrachten das Problem der Flüchtlinge mit aufrichtiger Besorgnis, denn wir wollen nicht, dass sie das Land verlassen. Die internationalen Staaten könnten ihnen dabei helfen, in ihrem Land zu bleiben, indem sie Bashar Al-Assad aus Syrien verweisen, anstatt, dass dieser die SyrerInnen aus ihrem eigenen Land vertreibt. Die Art und Weise, wie die Staaten die Flüchtlinge unter sich aufteilen, macht uns traurig – als wären wir ein Kuchen, der aufgeteilt werden soll. Das gibt uns das Gefühl, unsere Würde verloren zu haben. Dafür ist die internationale Gemeinschaft verantwortlich.
Wir wollen aus dem Krieg raus, aber nicht in ein größeres Gefängnis in Europa hinein. Die Zunahme der Bombardierung im August und Anfang September und der Einsatz der gewaltvollsten Methoden des Tötens und der Vernichtung durch Bashar Al-Assad und die Zerstörung Tausender Häuser hier hat allerdings dazu geführt, dass einige BewohnerInnen trotz ihrer großen Angst in andere Gebiete in Syrien geflohen sind, die vom Regime kontrolliert werden.”

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Die Perspektive Karanabels auf die Flucht aus Syrien

Heba, Duma, Ost-Damaskus “In Syrien wird die ganze Flüchlingssache als Karte betrachtet, die von der Europäischen Union ausgespielt wird. Die Europäische Union hätte die Leiden der SyrerInnen verringern können, indem sie Bashar Al-Assad eine politische Lösung “aufzwingt” – und das stand innerhalb ihrer Möglichkeiten. Außerdem wäre es für die EU auch möglich gewesen wäre, die am meisten Geschädigten aus den Flüchtlingslagern und den belagerten Gebieten in Syrien aufzunehmen, aber sie nimmt nur auf, wer es auch in die EU schafft. Wir sind überzeugt, dass Asyl in Europa den SyrerInnen letztlich nicht nutzt, wenn das Assad-Regime nicht gestürzt wird. Wir wollen einen syrischen Staat, der souverän und demokratisch ist. Wir wollen hier bleiben. Wir streben eine politische Lösung an, die unsere Leiden hier vor Ort verringert.”

Yasmin, Bait Saham, Süd-Damaskus “Es gibt hier zwei Gruppen: die einen, die jetzt wirklich an eine Flucht denken und der Meinung sind, dass sich eine “Tür der Hoffnung” geöffnet hat und die anderen, die bis jetzt denken, dass niemand das Land verlassen sollte. Gründe zur Flucht gäbe es jedoch viele: es ist keine Lösung für die Lage in Syrien in Sicht und die Menschen haben jegliche Hoffnung in eine Zukunft hier verloren. Hinzu kommt ein Mangel an Arbeitsplätzen, ansteigende Preise, fehlende öffentliche Dienste (Elektrizität, Wasser, Müll) sowie die willkürliche Kontrolle der Zivilisten durch die Milizen des Regimes. Außerhalb der vom Regime kontrollierten Regionen kommen zudem noch Bombardierungen, Fassbomben und der Verlust jeglicher Lebensgrundlage hinzu.”

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Eine Straße in Douma, Ost-Ghouta.

Mohammed, Erbin, Ost-Ghouta “Viele Leute hier in der der Ost-Ghouta können die Nachrichten über die Geflohenen in Europa zumeist gar nicht vervolgen, weil es keinen Strom und Internet gibt. Aber die Geschichte von Aylan Kurdi hat sich sehr verbreitet. Es gibt viele Leute, die darüber nachdenken, rauszugehen – und ich bin ehrlich gesagt einer von ihnen. Eine beachtliche Anzahl an Menschen hat in den letzten zwei Monaten die Ost-Ghouta verlassen, seitdem die gegrabenen Tunnel geöffnet wurden. Für Leute wie mich, die vom Regime gesucht werden, ist jedoch auch dieser Weg versperrt. Ich kenne bis jetzt nur einen, der vom Regime gesucht wurde und der es zusammen mit seiner Familie nach draußen geschafft hat – dafür mussten sie 7.000 Dollar zahlen und ihre gesamte Identität ändern.”

Kamal, Afrin, Aleppo “Es gibt eine Gruppe, die den Nachrichten und Geschehnissen an den Grenzen folgt. Das heißt, die Medien haben einen großen Einfluss, besonders im Bezug auf die großen “Willkommenskampagnen”, die es gab. In den meisten Regionen hier gibt es einen spürbaren Anstieg von Migration, besonders die unter den Jüngeren, unter denen, die irgendwelche Qualifikationen besitzen (Arbeitszeugnisse, Uniabschlüsse) – aber sogar aber auch unter denen, die hier Arbeit und zum Teil hohe Gehälter haben und die sich trotzdem zur Flucht entschließen.”

Vor Ort setzen sich AktivistInnen weiterhin dafür ein, zivigesellschaftliche Strukturen aufzubauen und die Lebensbedingungen in Syrien zu verbessern. Damit leisten sie einen aktiven Beitrag, Ursachen für die Flucht ihrer Landsleute zu beheben. Adopt a Revolution unterstützt seit 2011 syrische AktivistInnen dabei, lokale Projekte umzusetzen, etwa eine Bibliothek im seit über zwei Jahren belagerten Duma. Helfen Sie mit Ihrer Spende gegen Fluchtursachen!

Jetzt die Bibliothek in Douma unterstützen!