„Europa nimmt mir die letzte Würde“

Der Aktivist Fayez, 26, über seine Flucht nach Europa Ich schloss mich 2011 den Protesten für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde an. In meiner Heimatstadt dokumentierte ich als Medienaktivist Proteste und staatliche Repression gegen uns, was mich in große Gefahr brachte. Doch das Regime zog sich tatsächlich im Sommer 2012 aus der Stadt zurück. Leider begannen […]

Der Aktivist Fayez, 26, über seine Flucht nach Europa

Ich schloss mich 2011 den Protesten für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde an. In meiner Heimatstadt dokumentierte ich als Medienaktivist Proteste und staatliche Repression gegen uns, was mich in große Gefahr brachte. Doch das Regime zog sich tatsächlich im Sommer 2012 aus der Stadt zurück. Leider begannen die Extremisten des „Islamischen Staates“ (IS) nur wenige Monate später, erneut eine Diktatur zu errichten.

Der syrische Aktivist Fayez - hier ein Foto lange vor seiner Flucht aus Syrien.
Der syrische Aktivist Fayez – hier ein Foto lange vor seiner Flucht aus Syrien. Quelle: privat.

Nach dem Abzug des Regimes hatten wir AktivistInnen ein Zentrum für Zivilgesellschaft aufgebaut, ferner eine unabhängige Stadtverwaltung und ein lokales Radio. IS war unsere unabhängige zivile Arbeit ein Dorn im Auge. Mit der dauerhaften Eroberung unserer Stadt durch IS mussten wir Anfang 2014 die Arbeit einstellen: Zahlreichen AktivistInnen wurden drakonische Strafen angedroht, ich selbst sollte enthauptet werden. Mein „Vergehen“: Verrat und anti-religiöse Hetze. Zum Glück konnte ich der Vollstreckung entgehen.

Lange wollte ich Syrien nicht verlassen, doch die doppelte Verfolgung zwang mich schließlich ins türkische Exil.

Von dort aus versuchte ich ein halbes Jahr vergeblich, meine Arbeit fortzuführen. Die Perspektivlosigkeit des Lebens im Illegalen bewegte mich dann, nach Europa aufzubrechen. Zwar weiß ich, dass mir als nachweislich bedrohter Aktivist politisches Asyl in Deutschland zusteht. Doch mich trennten tausende Kilometer von dieser Sicherheit.

Aus der Türkei heraus konnte ich kein Asyl beantragen, ein Visum war für mich unerreichbar.

Mir blieb daher nur der teure illegale Weg, mein Leben in der Hand von Schleppern. Allein die Überfahrt nach Griechenland kostete 1.200 Euro, auf einer überladenen Nussschale aus Holz. Es grenzt an ein Wunder, aber wir erreichten eine der Inseln – und wurden in einem heillos überfüllten Camp ohne ausreichende Versorgung interniert.

Mittlerweile sind Monate vergangen. Ich habe tausende Euro bezahlt, wurde von Schleppern ausgebeutet und eingepfercht, musste mich tagelang hungernd im Wald verstecken. Auf dem weiteren Weg Richtung Deutschland wurde ich von Grenzpolizisten verprügelt und mit Tränengas angegriffen. Die furchtbaren Haftbedingungen in so vielen europäischen Ländern haben mich demoralisiert: Rumänien habe ich erreicht, aber die Hoffnung auf eine Zukunft in Sicherheit verloren. Als Flüchtling büßt man seine Würde ein, wie ich bitter erfahren musste.

Man gab uns 2011 aus Europa das Gefühl, wir hätten ein Recht auf Würde und Gerechtigkeit. Doch hier angekommen, erinnert mich nichts an diese Versprechungen.

Wie Fayez ergeht es vielen AktivistInnen, die in Syrien ihr Leben für Freiheit und Würde riskiert haben. Für solche Fälle gibt es das Grundrecht auf politisches Asyl. Allein: Die europäische Abriegelungspolitik untergräbt das Recht auf Sicherheit und nimmt den Betroffenen die letzte Würde.

Deshalb: Verfolgte AktivistInnen brauchen vor Ort eine legale Möglichkeit, Asyl beantragen zu können. Zudem müssen Deutschland und die EU großzügigere Aufnahmeregelungen für Flüchtlinge schaffen.

Mitarbeit: Barbara Blaudzun

Dieser Beitrag über erschien auch in der Adopt a Revolution-Zeitung vom Dezember 2014, die Sie hier als PDF abrufen können. Bestellen Sie einige Exemplare der Zeitung, um Sie an FreundInnen und Bekannte weiterzugeben, in Geschäften auszulegen oder bei Veranstaltungen zu verteilen. Gerne senden wir Ihnen kostenfrei Exemplare zu. Senden Sie uns dazu einfach eine Email an: info@adoptrevolution.org

Seit Ende 2011 unterstützt Adopt a Revolution die Projekte der jungen syrischen Zivilgesellschaft für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Zivile AktivistInnen streiten weiterhin für ihre Freiräume und sind die letzten, die in Syrien noch humanitäre Hilfe für die Opfer von Verfolgung durch Diktatur und IS-Terror leisten können. Helfen Sie mit, diese Projekte der Selbsthilfe zu ermöglichen!

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