Eingreifen ja, Militär nein – Kommentar zu einer militärischen Intervention

Wer eine militärische Intervention – jenseits der ohnehin kritischen Frage nach der völkerrechtlichen Grundlage – abwägt, sollte sich zunächst mit den spezifischen Begebenheiten und Gefahren in Syrien beschäftigen. Seit Mitte Oktober führen DemonstrantInnen bei Protesten in Aleppo Schilder mit sich, auf denen sie ihren Missmut über die Freie Syrische Armee (FSA) zum Ausdruck bringen. Auch […]

Wer eine militärische Intervention – jenseits der ohnehin kritischen Frage nach der völkerrechtlichen Grundlage – abwägt, sollte sich zunächst mit den spezifischen Begebenheiten und Gefahren in Syrien beschäftigen.

Seit Mitte Oktober führen DemonstrantInnen bei Protesten in Aleppo Schilder mit sich, auf denen sie ihren Missmut über die Freie Syrische Armee (FSA) zum Ausdruck bringen. Auch die Häuserwände in der Stadt sind mit Graffiti geschmückt, die den militärischen Teil der Rebellion kritisieren. Die Unzufriedenheit mit der FSA hat jedoch nichts mit fehlenden Erfolgen zu tun. Ganz im Gegenteil: Der Mut der freien Soldaten, sich mit spärlichen Waffen der Armee in den Weg zu stellen, genießt allgemeine Anerkennung bei der Opposition. Unmut macht sich vielmehr über das Verhältnis der Kämpfer zur Bevölkerung und zum ursprünglichen Gedanken der Revolution breit. Die Forderung: Die FSA soll sich dem Wertekodex der Revolution verpflichten.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Aleppo der Ursprung der Proteste gegen die FSA ist. In den meisten Städten, in denen bewaffnete Aufständische aktiv sind, kämpfen desertierte Soldaten aus der Region, unterstützt von militärisch geschulten Bewohnern. Der Anteil von kämpfenden Ortsfremden ist in Aleppo hingegen groß.

Aber auch in zahlreichen anderen Orten Syriens ist es inzwischen zu einer gefährlichen Entfremdung zwischen Zivilgesellschaft und bewaffneten Kämpfern gekommen. Trotz Bombardements durch das Regime und katastrophaler humanitärer Lage kritisieren AktivistInnen das Verhalten der FSA offen, auch wenn sie die Legitimität des bewaffneten Kampfes gegen Assad an sich nicht in Frage stellen. Einen nicht unwesentlichen Beitrag zu dieser Entfremdung leistet die ständige Intervention einiger Golfstaaten in Form von Militärhilfe für bestimmte Gruppen. Doch wenn sich erst einmal eine ausländische Armee auf Seiten der Opposition einmischen sollte, würde das endgültig zu einer Trennung zwischen politischem und militärischem Widerstand führen. Mit der Folge, dass politische AktivistInnen, die seit mehr als 20 Monaten den Aufstand tragen, marginalisiert und auch in der Phase nach dem Sturz des Regimes kaum eine Rolle spielen würden.

Die Auseinandersetzungen zwischen der Zivilgesellschaft und der FSA zeigen auch, dass es in diesem Aufstand nicht nur um den Sturz von Baschar al-Assad geht. Regelmäßig verurteilen die Netzwerke der AktivistInnen Anschläge von radikal-religiösen Gruppen, bei denen der Tod von ZivilistInnen in Kauf genommen wird. Für sie heiligt das Ziel nicht die Mittel, was auch die Einrichtung einer Flugverbotszone unvereinbar mit dem Wertekodex der AktivistInnen macht. Denn dafür müsste als Erstes die Luftabwehr der syrischen Armee ausgeschaltet werden, die sich auch in der Nähe von Wohngebieten befindet. Eine hohe Anzahl ziviler Opfer durch diese Luftangriffe ist dabei wahrscheinlich. Die Skepsis der Menschen in Syrien gegenüber der Nato würde sich noch verstärken.

Auch militärische Gründe sprechen gegen eine gewaltsame Intervention. Das syrische Militär würde sich bei einem Angriff von außen wieder stärker hinter das Regime stellen. Nato-Strategen lehnen eine Intervention wegen der Unübersichtlichkeit des Terrains und der verschiedenen lokalen Gruppen ab.

Es ist zwar unerträglich zu sehen, wie ganze Wohnviertel von der syrischen Luftwaffe zerbombt werden. Eine militärische Intervention von außen wird aber nicht erfolgreich sein, sondern das Problem bestenfalls verlagern, nicht aber lösen.

 

Dieser Beitrag erschien in veränderter Fassung auch am 19.10.2012 in der tageszeitung taz.
 

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