Die unendliche Schwere von Flucht und Exil – Presseschau vom 05. April 2015

Ein 16-jähriges Mädchen in Idlib schildert – unter dem Pseudonym Razan Mostafa – für Damascus Bureau ausführlich die Flucht ihrer Familie und die Härte der Flucht in Syrien. Einst lebte Razan mit ihrer Familie in Broma, einer Gegend im Umland von Idlib. Als Assad die staatliche Armee in dieses Gebiet entsandte, entstanden mehrere Rebellenbrigaden, um […]

Ein 16-jähriges Mädchen in Idlib schildert – unter dem Pseudonym Razan Mostafa – für Damascus Bureau ausführlich die Flucht ihrer Familie und die Härte der Flucht in Syrien. Einst lebte Razan mit ihrer Familie in Broma, einer Gegend im Umland von Idlib. Als Assad die staatliche Armee in dieses Gebiet entsandte, entstanden mehrere Rebellenbrigaden, um den Vormarsch zu stoppen. Eine dieser Einheiten wurde von Razans älterem Bruder angeführt, der seine Familie angesichts der eskalierenden Situation zum sofortigen Verlassen des Gebietes aufforderte. In dieser Nacht machte sich Razans Mutter mit den jüngeren Kindern auf, während Vater und Bruder den Widerstand organisieren wollten. Es begann eine Odyssee mit einer ungewissen Zukunft, die sich in die Erinnerung des Mädchens einbrannte. Razan und ihre Angehörigen verbrachten zehn Tage in dem kleinen Dorf Qurqunya im Haus eines Angehörigen der Shabiha [paramilitärische pro-Assad-Verbände], das zuvor erobert worden war. Es gab keine Lebensmittelgeschäfte, lediglich eine kleine Bäckerei, die dem Ansturm der Menschen nicht standhalten konnte – jeden Tag bildete sich am frühen Morgen eine lange Schlange vor der Tür. Der Wassermangel machte erfinderisch, sodass Razans Familie ihre Kleidung mit der Hand wusch und Wasser zum Duschen in der Sonne erhitzte.

Ständig musste Razan mit ihrer Familie im Dorf umziehen, da das Regime ihren Bruder, den Rebellenkommandeur, suchte und Jagd auf die gesamte Familie machte. Eines Tages bekam das Regime von Informanten einen Tipp über den Aufenthaltsort der Familie; die Bombe verfehlte allerdings das Ziel. Als Razans Bruder in einer Kampfpause die Familie besuchte, ertrug er deren Situation nicht. Er besorgte aus den umliegenden Nachbarstädten Brot und reichlich Obst und Gemüse für die Familie sowie die Nachbarn. Am Ende des Ramadans, dem Feiertag „Eid al-Fitr“, herrschte aufgrund der Lage eine bedrückende Stimmung, Tränen flossen. Ein Großteil der Familie lebte in einem fremden Dorf und musste ständig Angst vor Luftangriffen haben, während sich die Männer im Kampf befanden. Es fehlte an allem, auch an Zärtlichkeit und Sicherheit. Nach einiger Zeit beschloss die Familie daher, wieder nach Broma zurückzukehren. Razan hofft, nie wieder ein Leben fernab ihres Heimatortes führen zu müssen.

Brenda Stoter beschreibt auf al-Monitor die verzweifelte Situation vieler syrischer Familien, die vor dem syrischen Konflikt ins Ausland geflohen sind. Die Zahl der Fälle steigt, in denen Familien ihre minderjährigen Töchter verheiraten, um so die finanzielle Belastung der Familie zu verringern. Weitere Beweggründe für solch frühe Ehen sind der Schutz der jungen Mädchen vor (sexuellen) Übergriffen in den Flüchtlingslagern sowie die Tradition in einigen Teilen Syriens, dass Mädchen bereits früh eine Familie gründen sollen. Im ersten Quartal 2014 waren in Jordanien bei 32% aller registrierten Ehen syrischer Flüchtlinge die Frauen minderjährig, während dieser Wert 2012 noch bei 18% lag. Besonders die Scheidungsrate hat – gerade in den ersten Monaten nach der Eheschließung – enorm zugenommen.

Ein trauriges Beispiel ist die 15-Jährige Fatima, die mit ihrer Familie 2013 nach Jordanien floh und dort im Teufelskreis der Armut gefangen war. Ein wohlhabender, religiöser und bereits verheirateter Saudi wurde auf sie aufmerksam und konnte die Eltern für sich und seine Pläne, zusätzlich Fatima zu heiraten, gewinnen. Nach acht Tagen Ehe brachte er sie jedoch zu ihrem Vater zurück und ging nach Saudi-Arabien zu seiner ersten Frau zurück. Fatima hielt es in diesem Zustand drei Monate aus, bevor sie die Scheidung einreichte, woraufhin ihre Familie 1000 Dollar als Entschädigung von Fatimas saudischem Ex-Mann erhielt. Bald nach der Scheidung zeigte ein 34-jähriger Jordanier Interesse an Fatima, auch er bereits verheiratet und zudem Vater von fünf Kindern. Bereits nach der ersten Nacht in der Ehe brachte auch dieser Mann Fatima zurück zu ihrer Familie und reichte die Scheidung ein – dieses Mal, ohne eine Entschädigung zu zahlen. Allerdings wurde Fatima dieses Mal schwanger. Sie trieb das Kind heimlich ab, indem sie illegale Pillen ohne das Wissen ihrer Eltern einnahm. Fatimas Vater macht sich seitdem Vorwürfe, da er seine Tochter zur Heirat genötigt hatte. Fatima selbst fühlt sich allein gelassen und will nach diesen Erfahrungen nie wieder heiraten. Früher konnte sie über ihre Situation wenigstens mit einer Freundin reden, die jedoch mittlerweile einen kuwaitischen Mann geheiratet und Jordanien verlassen hat. Seitdem hat sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Freundin und hofft jeden Tag, dass es ihr gut geht.

Laura Starecheski von NPR berichtet über syrische Flüchtlinge, die sich der Kunst gewidmet haben und so versuchen, die internationale Gemeinschaft auf die prekären Lebensbedingungen von syrischen Flüchtlingen aufmerksam zu machen (ARA News). So berichtet z.B. Mohammed Al-Amari, ein 27-Jähriger Künstler, wie er bis zum letztem Jahr mit seiner Frau im südsyrischen Dar’aa lebte. Er wollte eigentlich unter keinen Umständen die Provinz verlassen. Mohammed arbeitete in Dar’aa als Kunstlehrer an einer Grundschule, jedoch blieben aufgrund des Krieges irgendwann die Kinder aus – so gab es keine Arbeit und auch keinen Lohn mehr für Mohammed. Die kleine Familie packte ihre wenigen Habseligkeiten, darunter auch einige Aquarelle, Pastelle und Gemälde, und brach in Richtung Jordanien auf. Jetzt leben sie im berühmt gewordenen Za’atari-Camp, wo Mohammed als Freiwilliger ein paar Stunden am Tag unterrichtet. In der übrigen Zeit versucht er, mit seiner Kunst syrisches Leben einzufangen.

Manchmal fühlt sich Mohammed wie in einem Gefängnis, denn es dauert ungefähr fünf Monate, eher er eine Tageskarte zum Verlassen des Lagers bekommt. Mohammed versucht deshalb, das Warten als Symptom der großen Unsicherheit zu malen. Viele SyrerInnen wissen nicht, ob ein normales Leben nach dem Konflikt jemals wieder möglich sein kann. Mohammed malt die Gesichter der Kinder, Frauen und Großeltern, die alle warten – in dieser Situation des Exils es ist schwer, hoffnungsvoll zu bleiben, jedoch leicht, nostalgisch zu werden. Mohammed ist jedoch entschlossen, mehr zu tun als nur zu warten und möchte aus seiner Begabung einen Nutzen ziehen. Viele seiner Bilder werden in internationalen Ausstellungen, darunter in Kalifornien und auch Amman, ausgestellt. Sie sollen langfristig das Bewusstsein der Menschen wecken, dass eine Veränderung der Situation in Syrien und für die SyrerInnen dringend notwendig ist.

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