Die türkische Militärintervention verstärkt die Spaltung Syriens

Der türkische Einmarsch in Syrien ist falsch, seine Konsequenzen womöglich fatal. Ein Kommentar.

Nun ist also auch die Türkei offiziell mit Truppen und Kriegsgerät in Syrien einmarschiert. Als seien russische Armee, iranische Truppen, schiitisch-islamistische Milizen aus Afghanistan, Irak und dem Libanon, ein gutes Dutzend Länder, die an der US-geführten Internationalen Koalition gegen ISIS beteiligt sind sowie Dschihadisten, Gelder, Waffen und Berater aus der ganzen Welt nicht genug, mischt nun auch noch Ankara verstärkt an der Internationalisierung des Konfliktes mit. Diese Internationalisierung wiederum ist das vielleicht größte Hindernis für einen erfolgreichen politischen Prozess, weil die Interessen der involvierten Mächte zu stark divergieren, um die für erfolgreiche Verhandlungen notwendigen Kompromisse herzustellen.

Simulation von Härte
Mit ihrer Militärintervention geht es der Türkei mitnichten darum in den Konflikt um den Diktator Assad einzugreifen, vielmehr ist sie geprägt von innenpolitischen Motiven. So steht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan aufgrund des islamistischen Terrors in der Türkei unter Zugzwang. Die wiederbelebten Beziehungen zu Putins Russland sowie die zunehmende Isolierung im Westen erfordern zumindest die Simulation von Härte gegen den Dschihadismus. Wichtiger als der Kampf gegen den Terror ist jedoch für Erdoğan die kurdische Frage. Eine Verbindung zwischen den von der dominanten syrisch-kurdischen Partei PYD und ihren „Volksverteidigungseinheiten“ YPG gehaltenen Kantonen im Nordosten und -westen Syriens will man in der Türkei um jeden Preis verhindern. Auch weil der Erfolg der Kurden in Syrien unmittelbare Auswirkungen auf die kurdische Bewegung in der Türkei hat und ihr weiteren Rückenwind verschafft.

Für die Menschen, die in Syrien seit über fünf Jahren für Freiheit, Demokratie und Pluralität eintreten ist die türkische Intervention eine weitere Niederlage. Waren es bislang das syrische Regime und seine Verbündeten sowie dschihadistische Gruppen und deren Unterstützer, die mit aller Gewalt das Recht auf Selbstbestimmung der Menschen in Syrien unterdrückten, will die Türkei für die kurdisch geprägten Gebiete in Syrien nun ähnliches erreichen.

Natürlich haben sich auch PYD und YPG Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht und treten recht autoritär auf. Man geht etwa hart gegen die innerkurdische Opposition vor und es kommt immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen politischer Gegner. Die stärkere Beleuchtung solcher Themen würde auch der linken Solidaritätsbewegung im Westen gut tun. Und doch ist das Projekt Rojava, wie die Kurden das Gebiet in Nordsyrien nennen, es wert, verteidigt zu werden. Bei aller berechtigten Kritik, auch die Selbstverwaltung des Landstriches im Nordosten Syriens bleibt Teil der Pluralität die überhaupt erst aufgrund des syrischen Aufstandes für die Freiheit entstehen konnte. Zivile Projekte sind zwar auch dort Repression ausgesetzt, haben aber zumindest relative Freiheiten und müssen nicht alltäglich den Tod fürchten, wie in anderen Regionen des Landes.

Die Fragmentierung der Gesellschaft geht weiter
Aber nicht nur für die Selbstbestimmung der Menschen in Syrien ist die türkische Intervention verheerend, sie verstärkt in einem eklatanten Maße das ohnehin schon sehr angespannte Verhältnis zwischen Arabern und Kurden in Syrien. Dass sich die mit der Türkei verbündeten arabischen Rebellengruppen im Rahmen dieser Offensive immer wieder kurze Scharmützel mit kurdischen Truppen geliefert haben, ist da alles andere als hilfreich, ebenso wie der wiederholte Beschuss kurdischer Städte. Das Vertrauen beider Seiten ineinander ist verständlicherweise am Nullpunkt angekommen, gerne vergleichen manche hie wie da die jeweils anderen willkürlich und völlig irrsinnig pauschal mit ISIS. Die türkische Intervention – so ist zu befürchten – wird diese Fragmentierung in Syrien weiter beschleunigen und verstärken. So verkompliziert sie eine Lösung des Konflikts weiter und die (wenn auch kritische) amerikanische Unterstützung für das türkische Vorgehen hat dieser für eine Verhandlungslösung so bedeutenden Macht wieder einmal Unmengen an Vertrauen in einer weiteren Region Syriens beraubt.

Jan-Niklas Kniewel