Die perfide Politik von ISIS & Assads Verständnis von “zusammen” – Presseschau 17.05.2014

Abdullah Kleido berichtet für Damascus Bureau über die fortschreitende Vernachlässigung und Zerstörung der archäologischen Stätten in Shinshrah. Das Dorf liegt im Zawiya-Gebirge und gehört zu ungefähr vierzig römischen und byzantinischen Orten, welche zwischen dem ersten und siebten Jahrhundert nach Christus entstanden sind. Die UNESCO hat diese Dörfer als Weltkulturerbe eingestuft und zu den Orten gezählt, […]

Abdullah Kleido berichtet für Damascus Bureau über die fortschreitende Vernachlässigung und Zerstörung der archäologischen Stätten in Shinshrah. Das Dorf liegt im Zawiya-Gebirge und gehört zu ungefähr vierzig römischen und byzantinischen Orten, welche zwischen dem ersten und siebten Jahrhundert nach Christus entstanden sind. Die UNESCO hat diese Dörfer als Weltkulturerbe eingestuft und zu den Orten gezählt, die akut durch den syrischen Bürgerkrieg bedroht sind. Shinshrah besteht aus den Überresten von fünf Kirchen, einigen Palästen sowie rund hundert Häusern. Mittlerweile leben hier über hundert vertriebene Familien, welche aus dem südlichen Teil der Provinz Idlib geflohen sind. Sie sind vor den intensiven Kämpfen in der Region geflohen und haben keine Mittel, alternative Unterkünfte anzumieten. Die Flucht in ein Flüchtlingscamp wollen viele vermeiden, da das Leben dort entwürdigend sei. Das Leben in der antiken Stätte muss jedoch auch finanziert werden, u.a. Trinkwasser.

Die neuen BewohnerInnen brechen daher z.B. die massiven Bausteine aus den alten Gebäuden heraus, um sie als kleinere Steine zu verkaufen oder für den Eigenbau zu verwenden. Der oppositionsnahe Rat in der Region hat deshalb mehrmals versucht, mit der UNESCO eine Kommission zu bilden, um die historischen Ruinen zu schützen. Die finanziellen Mittel sind jedoch erschöpft, weshalb um Spenden gebeten wird. Auch die von der Regierung eingesetzte Kommission zum Schutze von historischen Stätten ist bisher nicht in der Lage gewesen, wirksame Lösungen zu bieten. Die einzige Möglichkeit besteht momentan darin, das Bewusstsein der Menschen zu wecken, um einen nachhaltigeren Umgang mit den Ruinen zu fördern. Diese gehören der Öffentlichkeit, weshalb es im Interesse aller ist, sie zu bewahren. Das Kultur- und Medienbüro in Kafr Nabel hat eine Aufklärungskampagne über die Bedeutung und Notwendigkeit der archäologischen Stätten ins Leben gerufen. Die Binnenflüchtlinge sind jedoch nicht die einzigen, die für die Schäden verantwortlich sind. Luftangriffe von Regierungstruppen haben in der Vergangenheit vermehrt vermeintliche Stellungen der Rebellen angegriffen und dabei sowohl Menschenleben gekostet als auch erheblichen Schaden an den Altertümern angerichtet. Derweil unterstützen viele Menschen in den umliegenden Dörfern und Städten die Binnenflüchtlinge und zeigen Verständnis für ihre Notlage.

Asaad Hanna berichtet auf al-Monitor über die Heiratspolitik von ISIS-Kämpfern. Nachdem sich die Organisation in einigen Gebieten Syriens – u.a. der Provinz Raqqa – festgesetzt hat, werden nun junge Dschihadisten aus aller Welt angelockt, um in einem „islamischen Staat“ zu leben. Es gibt Häuser, Grundstücke, Autos – und syrische Frauen. Seitdem machen grausige Geschichten und Gerüchte die Runde. Einige ISIS-Kämpfer heiraten sich demnach mit Kalkül in die syrische Gesellschaft ein, um eine bessere Unterstützung durch die Bevölkerung zu erhalten. Manche Eltern – so scheint es – sind bereit, ihre Töchter für materielle Vorteile sowie Prestige an die Dschihadisten abzutreten. Im Gegensatz dazu haben andere Familien schlicht keine andere Wahl – angesichts der Machtfülle von ISIS – und sind somit zu diesem drastischen Schritt gezwungen. In Raqqa, wo ISIS die stärkste Gruppierung darstellt, heiraten die Männer zumeist unter Pseudonymen, um ihre eigene Geschichte sowie Vergangenheit zu verbergen. Eine mündliche Vereinbarung reicht hierbei stets als Eheschließung aus. Es gibt keine zivilrechtlichen Institutionen, welche diese Fälle überwachen, und damit keine Möglichkeit, die Frauenrechte in den Ehen zu sichern. Wenn die Männer im Bürgerkrieg sterben, sind die Frauen auf sich allein gestellt. AktivistInnen berichten, dass viele Ehen nicht mehr als zwei Monate andauerten, da der Mann die Frau entweder unter dem Vorwand eines Umzugs an die Front verlasse oder sich scheiden lasse, um eine andere Frau zu heiraten. Es scheint, als würden viele ISIS-Kämpfer sexuelle Beziehungen anstreben, welches ihrer Auffassung nach nur durch die Eheschließung legitimiert sei.

Die Herrschaft ISIS’ über Raqqa thematisiert auch Jacob Siegel für The Daily Beast; er bezeichnet Raqqa gar als “Jihad City”. Verglichen mit ISIS sei sogar Al-Qaeda noch moderat, urteilt Siegel. ISIS sehe sich nicht mehr als Organisation, sondern als tatsächliche Umsetzung des “Islamischen Staates”. Daher würde – jeglich ausgelegte – Opposition zu ISIS als Opposition gegen den göttlichen Staat angesehen. Die Vorschriften von ISIS sowie die Strafen gegen etwaige Verstöße sind drakonisch. Im Anspruch, den “Islamischen Staat” etabliert zu haben, kollidiert ISIS zwar mit der ehemaligen Mutterorganisation Al-Qaeda – lockt jedoch immer mehr ausländische Dschihadisten an, die begeistert auch über Social Media ISIS’ Vorgehen in Syrien verfolgen.

Sipan al-Kurdi berichtet für ARA-News über die Anstrengungen der kurdischen Studentenbewegung an der Hasakah-Universität, den Kindern alternative Unterhaltungsprogramme anzubieten. So wurde den vergangenen Dienstag ein Kinderfest unter dem Namen „Hevin Hevi“ veranstaltet, um die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder zu lenken. Es wurden ebenfalls zwei Theaterstücke gezeigt, welche sarkastisch den Alltag des syrischen Volkes darstellten.

Khaled al-Taha berichtet bei Damascus Bureau über das Gedenken Deir al-Zors an Muntaha al-Hisso, welche als freiwillige Pflegerin ihr Leben opferte. Die Stadt am Euphrat ist eher konservativ, weshalb Frauen nur wenige Möglichkeiten haben, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dennoch ist eine Frau der Stolz der Familie, wenn sie harte Bedingungen erträgt, welche ein Großteil der Männer ablehnen würde. Die BewohnerInnen von Deir al-Zor nahmen 2011 zahlreich an den Protesten gegen das Regime teil, ehe im Juli 2012 bewaffnete Oppositionsgruppen Teile der Stadt befreiten. Dies hatte schweren Beschuss durch die syrische Armee zur Folge, welche große Zerstörung in der Stadt verursachte, weshalb viele Menschen – darunter v. a. Ärzte, Krankenpfleger und Apotheker – flohen. Eine Persönlichkeit des Aufstands ist hierbei Muntaha al-Hisso. Als Witwe und Mutter von neun Kindern meldete sie sich freiwillig im Krankenhaus, um ihren Mitmenschen zu helfen. Trotz der schwierigen persönlichen Situation entschied sie sich dazu, den Großteil ihres Alltags im Krankenhaus zu verweilen. Muntaha weigerte sich zudem, mit dem letzten Konvoi die Stadt zu verlassen, ehe die Belagerung durch das Regime intensiviert wurde. Am 21. Dezember 2012 wurde sie auf dem Heimweg von Scharfschützen angeschossen und zur Behandlung in die Türkei gebracht, wo sie ihren Verletzungen erlag. Viele BewohnerInnen sind jedoch der Ansicht, dass ihre Liebe und Fürsorge für die Verletzten das Andenken an sie lebendig halten wird.

Meldungen: Der Syrien-Sonderbeauftragte der UN, Lakhdar Brahimi, wird zum Ende des Monats seinen Posten aufgeben. Ein Nachfolger ist bislang nicht benannt, jedoch wird nun eifrig gesucht. Vor Brahimi ist bereits Kofi Annan von dieser Position zurückgetreten. Ban Ki-Moon nannte Brahimis Rücktritt “ein allgemeines Versagen” (Guardian). Der Rücktritt Brahimis – in Zusammenhang mit dem Scheitern von Genf I & II – darf als erneute Bankrotterklärung der internationalen Staatengemeinschaft angesehen werden, den Konflikt in Syrien mit politischen Initiativen zu beenden.

Hinzu kommt der aktuelle Wahlkampf Bashar al-Assads um die Wiederwahl als Präsident Syriens bis 2021!, der unter dem makabren Namen “Sawa” (arab. “Zusammen”) betrieben wird. Hier auf Twitter kann man sich die PR-Slogans für Assad in syrisch-arabischem Dialekt anschauen – sowie jede Menge Fotos aus dem Assadschem Familienalbum. Unter den Slogans: “Syrien ist zusammen stärker – Bashar al-Assad” oder “Zusammen gegen Korruption!” sowie “Zusammen bauen wir es [Syrien] wieder auf”. Man sieht, der PR-Kampagne sind in Richtung Zynismus keine Grenzen gesetzt. Durch die Verwendung des lokalen Dialekts wird zudem Volksnähe suggeriert. Die Wahlen werden am 3. Juni abgehalten. Es wird berichtet, dass BürgerInnen in regimekontrollierten Gebieten kaum die Abstimmung boykottieren können.

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