Das Dilemma der syrischen Drusen

Mitte Juni wurden 20 Drusen von der radikal-islamischen Vereinigung Jahbat al Nusra in Idlib, Nordsyrien, umgebracht. Jahbat al Nusra bekennt sich offen zu al Quaida, seine Kämpfer sind meistens lokale SyrerInnen. Obwohl sich Jahbat al Nusra einige Tage danach für das Massaker öffentlich entschuldigte, hat sich spätestens seit dem tödlichen Übergriff die Aufmerksamkeit der internationalen […]

Mitte Juni wurden 20 Drusen von der radikal-islamischen Vereinigung Jahbat al Nusra in Idlib, Nordsyrien, umgebracht. Jahbat al Nusra bekennt sich offen zu al Quaida, seine Kämpfer sind meistens lokale SyrerInnen. Obwohl sich Jahbat al Nusra einige Tage danach für das Massaker öffentlich entschuldigte, hat sich spätestens seit dem tödlichen Übergriff die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Situation der drusischen Glaubensgemeinschaft gerichtet.

Das Gebiet um Sweida, das überwiegend von syrischen Drusen bewohnt wird, befindet sich weiterhin unter der Kontrolle des Assad-Regimes. Bereits im Jahr 2000 lehnten sich die syrischen Drusen gegen die Korruption des Geheimdienstes des Regimes auf. Der Geheimdienst stand im Verdacht, einen Schmugglerring im Länderdreieck Syrien, Irak, Jordanien zu unterstützen. Doch trotz des Begehrens gegen Korruption und Ungerechtigkeit und vereinzelter drusischer AktivistInnen, die seit Beginn der syrischen Revolution im März 2011 gegen das Regime arbeiten, ist eine Aufstandsbewegung in dem Gebiet um Sweida nicht zu erkennen.

Um die Entscheidung zu verstehen, sich der Aufstandsbewegung nicht anzuschließen, muss ein Blick u.a. auf die Religion gerichtet werden.

Quelle: Reuters. 23.06.2015
Quelle: Reuters. 23.06.2015
Die Glaubensgemeinschaft der Drusen, die im 11. Jahrhundert durch eine Abspaltung der ismailitischen Schia, eine islamische Glaubensrichtung, entstand, ist eine religiöse Minderheit, die von radikalen Islamisten nicht als Islam anerkannt wird. Sollte die Situation eintreten, dass es zu einer territorialen Übernahme des Gebietes durch radikal-islamische Gruppen kommt wie zum Beispiel durch den ISIS, könnte den syrischen Drusen ein ähnliches Schicksal widerfahren wie den Jesiden im Irak im August 2014. Die Angst vor Übergriffen wird bestätigt durch Massaker wie in Idlib Mitte Juni, welches durch Jahbat al Nusra verübt wurde. Aber diese Angst nutzt das Regime aus, um sich in seiner Propaganda als Beschützer der Minderheiten zu profilieren und gewinnt dadurch Legitimation und die Loyalität der syrischen Drusen.

Der Schutz der Region ist kostspielig und schwierig. Allerdings war die Unterstützung der Menschen dort für das Assad-Regime für seine Legitimation wichtig, sodass Assad Sweida seit dem Ausbruch der Revolution zehn Mal besuchte, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Aus Sweida wurden viele Soldaten für die syrische Armee rekrutiert sozusagen als Sold für den Schutz. Doch zunehmend setzt sich Widerwillen bei den rekrutierten Männern durch. Angenommen wird, dass bereits mehr als 30.000 drusische Soldaten aus der syrischen Armee desertiert und zurück nach Sweida gegangen sind. Dort finden sie Schutz bei der “Partei der Würdenträger”, die eine verfolgte Untergrundpartei ist. Die “Partei der Würdenträger” vertritt die Position, syrische Drusen sollten die Provinz schützen, nicht aber in weit entfernten Regionen kämpfen. Diese Einstellung ergibt sich aus der sozialen Struktur der drusischen Gemeinde, in der interkonfessionelle Ehen die Ausnahme bilden und der Erhalt der Gesellschaft auf dieser Struktur beruht. Die relativ geschlossene Religionsgemeinschaft hat deshalb ein großes Interesse daran, dass die jungen Männer nicht in der syrischen Armee verheizt werden.

Zur Folge hat die Bewegung desertierter Soldaten, dass das Gebiet für das Regime durch den Mangel an Soldaten weniger wichtig wird. Dazu kommt, dass in den letzten Monaten eine Schwächung des Regimes vor allem bei Idlib und an der südlichen Front in Daraa zu erkennen ist. Sollte das Regime weiter in Bedrängnis geraten, wären die Küstenregion und Damaskus wohl das erste Interesse, dass das Regime schützen würde, und nicht Sweida. Es wird angenommen, dass in Sweida selbst nur noch 500 Soldaten und Geheimdienstler stationiert sind.

Aufgrund dieser Schwächung des Regimes und des Erstarkens der FSA in Daraa gibt es erste Bestrebungen der “Partei der Würdenträger” mit der FSA in Verhandlung zu treten. Verhandelt wird über die Kontrolle der Gebiete und über die Beendigung von Entführungen.

Doch das ist ein Dilemma für die syrischen Drusen, die in Sweida und Umgebung wohnen, da weder die eine noch die andere Seite ihnen wirklich umfassenden Schutz bieten kann und/ oder will. Denn auch die FSA hat begrenzte Kapazitäten, deren Priorität wohl darauf liegt, nach Damaskus vorzurücken. Zumal auch das Vertrauen der syrischen Drusen in die FSA geschmälert ist, weil manche Mitglieder der FSA zuvor bei Jahbat al Nusra gekämpft haben, als die radikal-islamische Gruppe noch die stärkere Macht in der Region Daraa war.

Erst in Zukunft wird sich zeigen, auf welcher Seite die syrischen Drusen sicher stehen können. Bisher ist die Situation in Sweida noch ruhig und die Bevölkerung kann größtenteils in relativer Sicherheit leben. Vor allem, weil es von keiner Seite Angriffe auf die Bevölkerung gibt und Vereinbarungen mit der FSA halten. Doch es könnte im Interesse des Regimes liegen, dass diese Sicherheit nachlässt, damit das Regime wieder mehr Männer aus Sweida rekrutieren kann.

——–

Spenden Sie für unsere Informationsarbeit

Die Informationen über die aktuelle Lage der syrischen Drusen haben wir von dem Aktivisten Nouri* aus Daraa bekommen, der uns in unserem berliner Büro besucht hat. Nouri ist bereits seit März 2013 in Deutschland und lebt jetzt in Berlin. In Syrien hat er als Sportlehrer gearbeitet und gemeinsam mit 200 Oppositionellen hat er die Syrische Demokratische Plattform Anfang Februar 2012 in Kairo mitgegründet. Als Mitglied einer der großen Familien Daraa’s begleitet er über den Kontakt zu Bekannten in Syrien die Verhandlungen zwischen den lokalen Machthabenden in Daraa und der “Partei der Würdenträger” aus Sweida.

*Name des Aktivists geändert.

Weitere Artikel zu der Situation der syrischen Drusen bei Sweida.
http://lb.boell.org/en/2015/07/01/what-choices-do-syrian-druze-have-left
http://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-schutzlos-in-den-wirren-des-krieges-1.2523312
https://now.mmedia.me/lb/en/NewsReports/565486-druze-recruits-defect-from-syria-army-activists