Darayas Untergrundzeitung – zivile Revolution vor der Revolution und die „Trauben“ Darayas

Daraya ist seit Beginn der Revolution bekannt für seine friedlichen und kreativen Protestformen. So berichtete die Bloggerin Razan Ghazzawi im Oktober 2011 über die Flaschenbotschaften: Aktivisten schenkten den Soldaten der Armee kleine Flaschen, an die Rosen und eine Botschaft geheftet waren: “Ihr seid nicht unsere Feinde, unser Feind ist der Diktator.” Die Armee zog sich […]

Daraya ist seit Beginn der Revolution bekannt für seine friedlichen und kreativen Protestformen. So berichtete die Bloggerin Razan Ghazzawi im Oktober 2011 über die Flaschenbotschaften: Aktivisten schenkten den Soldaten der Armee kleine Flaschen, an die Rosen und eine Botschaft geheftet waren: “Ihr seid nicht unsere Feinde, unser Feind ist der Diktator.” Die Armee zog sich damals zurück.

Seit Januar geben Aktivisten in Daraya die Zeitung „Enab baladi“ („Land-Traube“) heraus. Daraya ist berühmt für seinen Traubenanbau. Über Traubenanbau schreiben die Aktivisten alerdings nicht, vielmehr sehen die die Vielfalt der Traube als Metapher für die Vielzahl der Gedanken und Einstellungen, die die syrische Bewegung hat. „Enab baladi“ ist ein Geschenk des Teams an Syrien und ein Begleiter der Revolution.

Es ist nicht die einzige solcher Untergrundzeitungen. Sogar das syrische englischsprachige Magazin „Syria Today“ berichtete im August 2012 über diese „Alternative Voices“. „Syria Today“ scheint sich noch etwas von dem Stück „Medienfreiheit“ bewahrt zu haben, die sie bereits vor der Revolution inne hatte. Der Artikel zitiert den Aktivisten Wael: “Im Gegensatz zum Regime sehen wir die anderen als unsere Partner in diesem Land.”

Das Team aus Daraya verlegt und vertreibt seine Zeitung in Eigenregie (hier als PDF). Sie erscheint wöchentlich und umfasst ca. zehn Seiten. Neben Politik, Wirtschaft und Kultur findet sich darin auch ein bisschen Zerstreuung. „Enab baladi“ ist ein Bote, der über die lokalen Geschehnisse Darayas als auch die weltpolitischen Auswirkungen auf Syrien berichtet. Pro Ausgabe gibt es zusätzlich ein Schwerpunktthema; z.B. in der letzten Ausgabe über Banyas an der Westküste, einen der ersten revolutionären Orte Syriens.

Der Internetauftritt ist detailliert und gibt einen guten Überblick über die bisherigen Artikel (Arabisch). Die letzte „Enab Baladi“ ist im Ramadan/August erschienen, seither hat die Sicherheitssituation auch das Erscheinen der „Traube“ behindert. Seit Januar sind 28 Ausgaben erschienen. Ausgabe Nr. 27 (5. August ’12) widmet sich dem Gedanken des Wiederaufbaus sowie der Bedeutung des gemeinschaftlichen Engagements, um die Gesellschaft von Morgen zu errichten. Solche lokalen Aktionen sind aus Daraya bereits lange vor der Revolution bekannt.

Das Verstummen von „Enab baladi“ wird derzeit durch andere Zeitungen aufgewogen. „Sendian“ („Eichenholz“), eine Zeitung aus der Küstenregion Syriens, widmet den Schwerpunkt seiner aktuellen 2. Ausgabe Daraya und den Ursprüngen des örtlichen Engagements. Demnach begann eine Gruppe von Jugendlichen bereits um das Jahr 2000 mit lokalen Aktionen zur Stadtreinigung (Video) oder kleinen Kampagnen gegen Korruption. Dies soll auf die Aktivität eines muslimischen Geistlichen zurückgehen, der für gesellschaftlichen Wandel durch friedliche Aktionen eintritt. Yahya Shurbaji ist einer der Aktiven aus der Gruppe Shabab Daraya („Daraya Youth“). Zahlreiche Gruppenmitglieder wurden 2003 inhaftiert; für das Abhalten eines Schweigemarsches gegen die US-Invasion in Irak – dabei gilt Syrien als „anti-imperialistischer Hüter des Panarabismus“. In einem repressiven Staat wie Syrien ist jede politische Meinung verboten, sogar wenn sie mit der Haltung der Regierung übereinstimmt. Das zivile Engagement der Gruppe wird dem Staat ein Dorn im Auge gewesen sein, da in Syrien sonst nur Schweigen und Fügsamkeit gelehrt wurde.

Mit Ausbruch der Proteste im März 2011 soll Daraya bereits am 25. März Demonstrationen abgehalten haben. Darayas Demos wurden wegen der Blumen bekannt, die die Teilnehmer als Zeichen der Friedfertigkeit in die Höhe hielten. Die Idee, Wasserflaschen mit Rosen und Zetteln an die Soldaten zu verteilen, soll maßgeblich auf Shurbaji und seinen Freund Ghayath Mattar zurückgehen (s. Beitrag Razan Ghazzawis). Yahya Shurbaji mahnte, die Sicherheitskräfte nicht zu provozieren. Sie seien schließlich ebenfalls Söhne Syriens. Dies ist u.a. in der Rede Shurbajis zu sehen, in der er deutlich vom Staat ein Ende des Tötens in Syrien verlangt (Video arabisch/englisch). Die Aktivisten aus Daraya mussten bereits sehr früh untertauchen, trotzdem wurden am 06.09.2011 Träger des zivilen Widerstands aus Daraya verhaftet. Während Ghayath Mattars Leiche nach vier Tagen der Familie übergeben wurde, verbleiben die anderen, u.a. Yahya Shurbaji, bis heute in Haft – ohne Prozess oder Auskünfte über ihren Verbleib.

Dass mit der Verhaftung dieser Aktivisten der Protest gegen die Unterdrückung in Daraya nicht erlosch, ist u.a. dem Team der „Enab baladi“ und den Frauen und Männern Darayas zu verdanken, die weiterhin regelmäßig Protestaktionen und Solidaritätsaktionen für Gefangene abhielten. Damit war die Stadt Hoffnung für Orte in ganz Syrien, denn sie gab trotz aller Rückschläge nicht auf. Es bleibt zu hoffen, dass Daraya zu altem Mut zurückkommt und an die lange Tradition des Engagements anschließt.