Enttäuscht von der oppositionellen lokalen Regierung – Bericht aus Al Hasaka

Im Vergleich zu anderen Städten, in denen die Protestbewegung aktiv ist, ist es bei uns in Al Hasaka gerade relativ ruhig. Die Stadt zählt etwa 500.000 EinwohnerInnen und hier leben verschiedenste Bevölkerungsgruppen zusammen: AssyrerInnen, KurdInnen und AraberInnen. Sie leben hier schon lange zusammen, auch wenn immer halbwegs klar war, welcher Stadtteil von welcher Bevölkerungsgruppe dominiert […]

Im Vergleich zu anderen Städten, in denen die Protestbewegung aktiv ist, ist es bei uns in Al Hasaka gerade relativ ruhig. Die Stadt zählt etwa 500.000 EinwohnerInnen und hier leben verschiedenste Bevölkerungsgruppen zusammen: AssyrerInnen, KurdInnen und AraberInnen. Sie leben hier schon lange zusammen, auch wenn immer halbwegs klar war, welcher Stadtteil von welcher Bevölkerungsgruppe dominiert wird. Aber in unserem Komitee – das mit rund 200 AktivistInnen ziemlich groß ist – arbeiten wir mit allen Bevölkerungsgruppen zusammen. Das Leben schwer machen uns nur die verschiedenen bewaffneten Gruppen: Sowohl die Armee des Regimes, als auch die KämpferInnen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die Freie Syrische Armee (FSA) und die radikalen Islamisten im Umland der Stadt. In der zweiten Maiwoche gab es im Stadtteil Al Aziziyeh eine mit Waffen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen YPG und Truppen des Regimes. Dabei kamen einige Kämpfer ums Leben, andere wurden verletzt – genaue Zahlen gibt es bis jetzt nicht. Solche Zwischenfälle kommen immer wieder vor, sie hindern uns jedoch nicht daran weiter an unseren Zielen zu arbeiten. Dank des Engagements unserer AktivistInnen und Unterstützern glauben wir auch daran, diese Ziele erreichen zu können.


Video: Gedenkfeiern in Al Hasaka zum zweiten Jahr der syrischen Revolution

Wir haben das Fraternity Center for Democracy and Civil Society eröffnet – das erste und einzige zivilgesellschaftliche Zentrum in Al Hasaka.
Das Projekt heißt „Die Stadt der Revolution ist schöner“ und umfasst zwei andauernde Aktionen, durch die Al Hasaka ein angenehmerer Ort zum Leben werden soll. Wir wollen den Menschen zeigen, dass wir auch nach der Revolution die Stadt nicht verkommen lassen werden. So haben wir in den letzten Wochen an sieben größeren Plätzen den Müll mit einem LKW aus der Stadt geschafft und dort verbrannt. Der Müll hatte sich angesammelt, weil weder die Regimeregierung der Provinz, noch der Lokale Rat als von der Opposition eingesetzte Regierung diesen öffentlichen Aufgaben nachgekommen ist. Wir haben im Zuge der Aktion auch einige Wände und Mauern gestrichen und mussten Chemikalien gegen Insekten und ansteckende Krankheiten sprühen, um deren Ausbreitung einzudämmen.
Im Winter mussten die Einwohner hier aufgrund des Mangels an anderem Heizmaterial viele Bäume abholzen. Ziel der zweiten Aktion war es deswegen fünf verschiedene Orte in der Stadt neu zu begrünen. An einem zentralen Platz haben die AktivistInnen Bäume gepflanzt und einen Park angelegt, den sie Friedenspark getauft haben. Viele Kinder haben ihnen dabei geholfen. Jedes Kind durfte einen eigenen Baum pflanzen, der fortan dessen Namen tragen wird und gemeinsam mit ihm aufwachsen soll. So sollten die Kinder dazu motiviert werden, sich um die Bäume kümmern, sie schüzten und eine persönliche Beziehung zu diesem Ort aufzubauen. Der Park liegt genau an der Grenze zwischen dem Gebiet, das vom Regime kontrolliert wird und dem, das von der YPG kontrolliert wird, denn hier haben wir am meisten Bewegungsfreiheit.


Video: Das Komitee Al Hasaka begrünt öffentliche Plätze neu.

Momentan versucht hauptsächlich die YPG das Leben auf den Straßen in Al Hasaka zu kontrollieren. In der Stadt selbst sind die Truppen des Regimes immer noch präsent, sie haben sich jedoch in einige wenige Kasernen zurückgezogen und kommen kaum noch heraus. Nur selten kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Seiten – aber wenn, dann sind wir als zivile AktivistInnen immer am stärksten davon betroffen. Auch wenn die YPG offiziell auf der Seite der Revolution stehen, versuchen sie alles hier zu dominieren. Zum kurdischen Neujahrsfest am 21. März mussten wir etwa alle öffentlichen Aktivitäten anmelden – das gab es so noch nicht einmal unter dem Regime. Aber auch wenn durch die YPG viele Aktivitäten erschwert werden: Immerhin haben wir halbwegs Stabilität in Al Hasaka und die Stadt wird nicht von außen beschossen.


Video: Aktivisten aus Al HAsaka entzünden Kerzen in Gedenken an die in Amuda Ende Juni von der YPG auf einer Demonstration getöteten Aktivisten.

Auch wenn wir sie auf unseren Demonstrationen weiter kritisieren, müssen wir immer aufpassen, dass wir mit keiner der bewaffneten Gruppen zu sehr aneinandergeraten, denn sonst geraten wir selbst ins Fadenkreuz. Früher mussten wir uns vor allem vor dem Regime fürchten, doch seit die YPG in der Stadt aktiv ist, wurden auch einige AktivistInnen von ihr festgenommen. Die YPG versucht einen Alleinvertretungsanspruch aufzubauen, auch wenn sie dazu überhaupt nicht legitimiert ist.
Daneben versuchen wir uns um humanitäre Probleme in der Stadt zu kümmern. Gerade weil die Lage relativ ruhig ist, sind hier tausende Menschen aus anderen Landesteilen untergekommen. Sie haben sich bei Verwandten einquartiert, aber auch wir haben vielen Flüchtlingsfamilien einen Gastgeber vermittelt. Doch weil es selten Strom gibt, ist die Situation mitunter katastrophal. Strom ist wichtig für Internet, Telefon und Licht – aber noch wichtiger ist er, um die Wasserversorgung sicherzustellen.
Seit die nicht mehr richtig funktioniert, haben sich schon zahlreiche Menschen mit Krankheiten angesteckt, die bei besseren hygienischen Bedingungen überhaupt kein Problem darstellen würden. Doch wenn die Menschen Wasser aus verschmutzten Bächen trinken müssen, treten bestimmte Krankheiten eben auf und wenn es wärmer wird, drohen vielleicht sogar Seuchen. Wir versuchen die Menschen aufzuklären, dass sie das Wasser abkochen müssen und geben ihnen Tipps, wie sie Ansteckungen verhindern können.


Video: Aktivisten packen Lebensmittellörbe für Flüchtlinge und bedürftige Familien aus Al Hasaka.

Was uns in letzter Zeit besonders verärgert hat ist die Exilopposition. Für die Provinz Al Hasaka wurde ein Lokaler Rat eingesetzt, der eigentlich so etwas wie eine Regionalregierung darstellen soll. Von der Koalition der Oppositionskräfte haben seine Vertreter auch Geld bekommen. Wir haben gehört, dass Muhamad Rashidi, der Vorsitzende des Lokalrats, 200.000 Dollar bekommen haben soll. Einen Teil durfte er wohl als Aufwandsentschädigung behalten und die restlichen 150.000 Dollar sollen an 1.500 bedürftige Familien verteilt worden sein. Aber alle, mit denen wir gesprochen haben, haben gemessen an diesem Betrag viel zu wenig bekommen. Wir sind enttäuscht, dass die Korruption auch in der Opposition weitergeht und haben auch schon mehrmals dagegen protestiert – leider ohne Erfolg!

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