Bassel Shahade (1984-2012) – Verfechter der Freiheit, Chronist der Revolution & Märtyrer der Kunst

Wie kann ich die Revolution hinter mir lassen, um mich für meine Zukunft zu interessieren? Wo ist diese Zukunft ohne ein freies Heimatland? – Bassel Shahade In den Jahren 2010/11 verbrachte ich mehrere Monate in Damaskus. Bei einem Theaterbesuch mit Freunden traf ich im Dezember 2010 Bassel. Er schien nicht besonders auffällig, wirkte zurückhaltend und […]

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Der syrische Filmemacher Bassel Shahade, verstorben am 28.05.2012.

Wie kann ich die Revolution hinter mir lassen, um mich für meine Zukunft zu interessieren? Wo ist diese Zukunft ohne ein freies Heimatland? – Bassel Shahade

In den Jahren 2010/11 verbrachte ich mehrere Monate in Damaskus. Bei einem Theaterbesuch mit Freunden traf ich im Dezember 2010 Bassel. Er schien nicht besonders auffällig, wirkte zurückhaltend und eher still. Im Gespräch rund um die Vorstellung wechselten wir als Gruppe einige Worte über die Kunstszene in Damaskus. Es war eine interessante, aber harmlose Unterhaltung. Politisch heikle Diskussionen tauschte man eh nicht in der Öffentlichkeit aus. Auf den zweiten Blick hatte Bassel jedoch etwas Besonderes: seine warme Ausstrahlung und die Gelassenheit, die er verströmte.

Ich kehrte 2010 nach Deutschland zurück, kurz darauf begannen die Massenproteste in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern. Ich war mir sicher, dass so etwas in Syrien wohl nicht geschehen werde. Die Zustände schienen einfach zu repressiv. Zurück in Damaskus im Februar 2011, erzählten mir Freunde vom Solidaritätsprotest vor der ägyptischen Botschaft, der von den syrischen Sicherheitskräften rasch beendet wurde. Ich lernte, dass Bassel einer der Teilnehmer bzw. gar Initiatoren war. Das klang mutig, aber bei weitem nicht so waghalsig, wie Bassels nächstes Unternehmen im Frühjahr 2011: eine Reise per Motorrad von der Türkei gen Indien. Allein per Motorrad tausende Kilometer durch z.T. recht unwegsame Regionen. Eine gemeinsame Freundin hielt mich über Bassels Abenteuer auf dem Laufenden und machte sich doch Sorgen, ob er die Reise gut überstehe. Bassel hatte Diabetes, das gebrauchte Motorrad war nicht gerade ein Luxusmodell; bei der Strecke war also mit Pannen zu rechnen. Über das Gelingen von Bassels Reise hörte ich nichts mehr: die Revolution nahm Mitte März 2011 recht abrupt in Syrien ihren Lauf und nahm alle in den Bann – sei es aus Begeisterung, Erstaunen oder Ablehnung.

Im Juni 2011 traf ich Bassel in Damaskus völlig unerwartet ein zweites Mal, als wir ihn auf dem Weg zu Freunden mitnahmen. Im Haus der Freunde angekommen, entspann sich eine politische Diskussion: Wie kann man den Christen die Angst vor der Revolution nehmen, sie zu mehr Engagement ermuntern – und so die syrische Regierung Lügen strafen, dass die Revolution eben nicht „islamistisch“, „salafistisch“ und „sektiererisch“ sei? Es stellte sich heraus, dass Bassel wie einige andere Anwesende christlich war. Die Religionszugehörigkeit von Freunden konnte man manchmal aufgrund von Herkunft oder Namen vermuten oder jemand teilte sie beiläufig mit, in den meisten Fällen war sie einfach nicht Thema. Bei der Diskussion herrschte Optimismus über den kommenden Erfolg der Revolution und den Zusammenhalt der syrischen Bevölkerung über die Konfessionsgrenzen hinweg. Es war jedoch allen bewusst, dass das syrische Regime gerade im Säen von konfessioneller Unruhe und gegenseitigem Misstrauen seine Strategie gegen den Aufstand sah. Zu der Zeit mahnten überall in der Stadt Plakate “Nein zu Konfessionalismus”, als wollte man die Menschen allzu deutlich ängstigen.

Müde und hungrig von der stundenlangen politischen Debatte – nebenbei lief natürlich immer das aktuelle (nicht-staatliche) TV-Programm zur Lage im Land – kehrte unsere kleine Gruppe noch in einem Imbiss ein. Ich unterhielt mich lange mit Bassel über seine Reise gen Indien, was in der Öffentlichkeit wenigstens ein unverfängliches und zudem spannendes Thema war. Bassel gab mir Tipps für eine geplante Indienreise. Er erzählte mit Begeisterung, v.a. Pakistan und Indien hatten es ihm angetan. Eine witzige Anekdote: Während des Aufenthalts in Pakistan hatte Bassel sich aus Bequemlichkeit einen Bart wachsen lassen und stand so an der Landgrenze zu Indien: ein junger bärtiger Syrer – die indischen Grenzbeamten musterten ihn doch ein wenig besorgt. Seine Reise hatte Bassel augenscheinlich gut überstanden und genossen. Bassel allein mit Lenin, denn so taufte er sein altes Motorrad. Über seine Reise berichtete im August 2011 gar die pan-arabische Zeitung Al-Hayat (Archiv): Der Syrer, der mit seinem Motorrad dem Tod trotzte.

Dass sich Bassel in Syrien nicht richtig glücklich fühlte, lässt er in diesem Video vom März 2011 durchblicken. Erst weicht er der Frage schelmisch aus, dann umspielen sein Gesicht kurz traurige Züge. Im Juli 2011 fand im Damaszener Viertel Midan die sogenannte Intellektuellen-Demonstration statt: es beteiligten sich neben vielen Studenten auch namhafte Künstler und Schauspieler. Dieses Video zeigt die Umstände und Zerschlagung des Protests. Der Filmemacher Bassel war auch unter den Demonstranten. Er wurde mit anderen Teilnehmern aufgegriffen und einige Tage festgehalten. Ihm wurde in der Haft ein Finger gebrochen, was Bassel jedoch nicht zu beeindrucken schien. Auch wenn ich ihn nicht gut kannte, schockierte die Nachricht der Inhaftierung. Viele syrische Bekannte hielten große Stücke auf ihn. 2011 teilten Freunde Bassels politische Posts regelmäßig bei Facebook.

Ende 2011 sah ich „Singing to Freedom“, einen Film über die Chancen friedlichen Widerstandes in Syrien. Der Regisseur war anonym. Interviewt wurden im Film u.a. Razan Zeitouneh, Noam Chomsky und Norman Finkelstein. Der Regisseur verknüpft starke Bilder des friedlichen Protests in Syrien mit verschiedenen Einschätzungen zum friedlichen Widerstand. „Singing to Freedom“ ist ein beeindruckender und interessanter Film. Im Mai 2012 stellte sich heraus: Der Regisseur war Bassel. Er drehte den Film während seines USA-Aufenthaltes 2011, als er mit einem Fulbright-Studium an der Syracuse University Filmwissenschaften studierte. Die Situation in Syrien ließ ihm jedoch keine Ruhe: Er kehrte nach Syrien zurück und ging Anfang 2012 nach Homs, um dort die lokalen Aktivisten in Medien- und Filmarbeit zu schulen. Anfang 2012 gab ein syrischer Aktivist und Filmemacher ein ausführliches Interview bei Democracy Now über die Repression der friedlichen Oppositionsbewegung und der beginnenden Bewaffnung lokaler Kräfte in Homs. Der Aktivist hieß Bassel.

Der erste Teil von “Singing to Freedom”, Dezember 2011.

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Bassel beim Medientraining für Aktivisten in Homs.

Am 28. Mai 2012, genau vor einem Jahr, öffnete ich spätabends Facebook und erschrak. Mich begrüßten gleich mehrere fast identische Profilbilder: Basels Foto mit und ohne Trauerkranz. Das Video der Trauerprozession für ihn und drei andere Medienaktivisten in Homs war alsbald online. Sie starben durch Granatbeschuss der syrischen Armee auf Homs. Auf Bassels Wunsch ließ ihn seine Familie auch dort bestatten. Die Nachricht von Bassels Tod rief sehr viele Artikel von Medien, v.a. aber Trauerbekundungen syrischer Aktivisten und oppositioneller Blogs hervor. Auch die Syracuse University trauerte. Eine persönliche Geschichte zu Bassel verfasste im Dezember 2012 die Aktivistin Razan Ghazzawi: And You’re Still Dead. Ein Musikvideo zum Gedenken an Bassel veröffentlichten Freunde. Auch Noam Chomsky gedachte Bassel. Die Al-Akhbar schrieb: “This is the Syrian condition today. Between one massacre and another, bullets kill the best of its youth on Syria’s Via Dolorosa.”

Diese Seite nennt Bassel den “Märtyrer der Liebe, der Kunst und der Menschlichkeit”. Der syrische Staat verwehrte den Angehörigen und Freunden selbst noch den würdigen Abschied von Bassel: sogar das Haus der Familie wurde umstellt, um Kondolenzbesuche zu verhindern. Der jesuitische Pater Paolo Dall’Oglio lud christliche wie muslimische Freunde später zu einer Trauerfeier nach Deir Mar Musa. Einen Einblick in Bassel Shahades filmisches Werk zur Revolution vermittelt Jadaliyya.

Anmerkung: Dieser Beitrag erschien bereits am 28.05.2013, also genau ein Jahr nach Bassels Tod.

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