AktivistInnen in Damaskus über die Möglichkeit einer friedlichen Lösung

(Damaskus, Syrien) – Die Verhandlungen um die Genf II-Konferenz haben eine kritische Phase erreicht. Jene Konferenz soll die Syrische Opposition und das Assad-Regime zu einem Dialog bewegen. Bald entscheidet sich, ob die Konferenz überhaupt zustande kommt, und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Berichten zufolge übt der Westen zunehmend Druck auf die Exil-Opposition aus, an der […]

(Damaskus, Syrien) – Die Verhandlungen um die Genf II-Konferenz haben eine kritische Phase erreicht. Jene Konferenz soll die Syrische Opposition und das Assad-Regime zu einem Dialog bewegen. Bald entscheidet sich, ob die Konferenz überhaupt zustande kommt, und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Berichten zufolge übt der Westen zunehmend Druck auf die Exil-Opposition aus, an der Konferenz teilzunehmen. Nachdem der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, das Datum der Genf II-Konferenz auf den 23. November terminiert hatte, mischte Bashar al-Assad die Karten neu. Der syrische Präsident sagte kürzlich in einem Interview: „Es bestehen keine unterstützenden Faktoren“, damit eine Genf II-Konferenz stattfinde. Gleichzeitig verknüpfte er seine Teilnahme an der Konferenz mit einem Stopp aller Unterstützung für die „Terroristen“, wie er die bewaffnete Opposition im eigenen Lande bezeichnet.

Internationale Mächte zwingen Regime & Opposition an den Verhandlungstisch, nachdem beide Parteien vom Konflikt mit Blut befleckt sind. Cartoon des Künstlers Muaffaq Qat. Quelle: Facebook.
Internationale Mächte zwingen Regime & Opposition an den Verhandlungstisch, nachdem beide Parteien vom Konflikt mit Blut befleckt sind. Cartoon des Künstlers Muaffaq Qat. Quelle: Facebook.

„Damascus Bureau“ hat unterdessen AktivistInnen und Mitglieder von unterschiedlichen Parteien in Damaskus zu ihren Einschätzungen für eine politische Lösung in Syrien befragt.

Kifah Ali Deeb, ein Mitglied des Exekutivkomitees des Nationalen Koordinationsrates für Demokratischen Wandel, ist hingegen zuversichtlich im Hinblick auf eine friedliche Lösung des Konfliktes. Diese kann laut ihrer Aussage durch „ein Ende der Gewalt, einen Austausch von Gefangenen und Verhandlungen über einen friedlichen Machttransfer zu Gunsten einer Übergangsregierung in Genf“ erreicht werden. Außerdem fügt sie hinzu: „Die Genf I-Konferenz ist nicht gescheitert. Sie hat eine Reihe von Empfehlungen ergeben, auf denen Genf II aufbauen kann, um einen Transfer der politischen Macht zu erreichen. Dies wird die Forderungen der Menschen nach Freiheit, Würde und Demokratie umsetzen.“

Im September hat das Nationale Koordinationskomitee eine Erklärung veröffentlicht, in welcher eine Vision für die Lösung des Konfliktes beschrieben ist. Solch eine Lösung benötigt das Einverständnis sowohl der syrischen Seite als auch der Internationalen Gemeinschaft für eine gemeinsame Notfallsitzung im Rahmen der Genf II-Konferenz. Diese Sitzung wäre basierend auf den Prinzipien, auf welche man sich in Genf I geeinigt hat. Die Beteiligung der wesentlichen Oppositionsgruppen könnte unter der Bedingung erreicht werden, dass ein Waffenstillstand das erste Thema auf der Agenda sein muss. Darüber hinaus muss die volle Regierungsmacht baldmöglichst an eine Übergangsregierung unter einem konsensfähigen Leiter übergeben werden, die dann – neben der Verwaltung des Landes – dafür zu sorgen hat, dass die staatlichen Intuitionen und die nationale Einheit gewährleistet bleiben. Zusätzlich sollte die Übergangsregierung den demokratischen Wandel vorbereiten und anstoßen.

Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nahmen alle an der Genf I-Konferenz teil. Das Produkt war ein am 30. Juni 2012 vorgestellter 12-Punkte-Plan. Die wichtigsten Elemente des Planes sind die Bildung einer Übergangsregierung mit voller exekutiven Entscheidungsgewalt, welche auch Mitglieder der jetzigen Regierung in Damaskus miteinbeziehen sollte; eine Verfassungsreform, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Leistungen und Institutionen – inklusive der Armee und den Sicherheitskräften – sowie ein umgehender Waffenstillstand. Diese Vorschläge sind bis dato nicht umgesetzt worden.

Deeb sieht eine Militärintervention nicht als eine Lösung für die Krise. Nichtsdestotrotz versteht sie, aus welchen Gründen manch andere diese Intervention fordern: „Das unglaubliche Leid hat dazu geführt, dass einige um jeden Preis eine Erlösung wollen.“ Sie lehnt jegliche Intervention von außen konsequent ab, ob vom Westen oder vom Iran & der Hisbollah.

Ähnlich sieht das auch der Aktivist und Anwalt Faeq Howeija, Mitglied der Syrischen Säkularen Demokratischen Koalition. Er glaubt, dass der Weg zu einer Lösung mit „dem Ende des Tötens, der Freilassung von Gefangenen und einem ernsthaften politischen Prozess“ beginnt. Für Howeija sind zivilgesellschaftliche Organisationen in der Verantwortung, diesen Prozess durch politischen Druck zu realisieren. Der Koordinator der [Säkularen Demokratischen] Koalition, Hass al-Atheem, regte genau diesen Prozess in einem Fernsehinterview mit Russia Today am 31. August 2013 an.

Der zweite Teil einer Lösung muss laut Howeija die Genf II-Konferenz sein. Er sagt allerdings auch, dass bestimmte Bedingungen für den Erfolg der Konferenz unabdingbar sind. „[Diese Bedingungen] sind, der Rationalität und der Weisheit sowie dem höheren Interesse Syriens Priorität zukommen zu lassen. Leider sind diese Bedingungen bei den Hauptakteuren nicht zur Genüge vorhanden. Ich hoffe dies ändert sich, aber würde darauf nicht wetten,“ sagt er.

Howeija fügt hinzu, dass die politische Lösung sich aufzeigen werde, sobald die zwei Seiten realisiert hätten, dass sie eine militärische Auseinandersetzung nicht mehr aufrechterhalten können. Darüber hinaus könnten seiner Ansicht nach Regionalmächte – zusätzlich zu Russland und den USA – die Konferenz sabotieren: Wenn jene die Wahrnehmung haben sollten, dass eigene Interessen durch mögliche Veränderungen in Syrien verletzt werden, oder sie denken, dass ihre Alliierten in Syrien das Ruder in dem militärischen Konflikt noch zu Ihren Gunsten herumreißen können.

Der politische Autor Ammar Dayyoub, welcher sich selbst als syrischer Marxist bezeichnet, glaubt, dass der syrische Bürgerkrieg nicht nur auf politische Aspekte reduziert werden sollte. Die Alternative zu einer von ihm als imperialistisch und restaurativ beschriebenen Intervention in Syrien ist die Fortsetzung des Aufstandes an der zivilen als auch der militärischen Front. Er betont, dass die Lösung für den Konflikt nur durch eine Verbesserung in sozioökonomischen und sozialen Fragen gelingen kann, da Missstände in jenen Bereichen zu den Protesten geführt hätten. Er argumentiert, dass neue Jobs geschaffen, die Infrastruktur verbessert und die Verantwortlichkeit der Regierung gewährleistet werden müssen.

Der obige Beitrag wurde am 01. November 2013 auf der Website Damascus Bureau in englischer Sprache veröffentlicht. Autor ist der syrische Journalist Youssef Kanaan; dieser Name ist allerdings ein Pseudonym. Ein Aktivist von Adopt a Revolution hat den Beitrag ins Deutsche übertragen. Anm. AaR: Ob die Genf II-Konferenz stattfinden wird, ist weiterhin unklar. Der Termin des 23. November kam nicht zustande, nun wird ein Termin Mitte Dezember 2013 angestrebt. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Sondierungen und Diskussionen den Termin bis ins Jahr 2014 vertagen.

Adopt a Revolution unterstützt seit zwei Jahren zivile AktivistInnen in ganz Syrien und fördert seit diesem Jahr auch konkrete Projekte wie Untergrundschulen, psychologische Hilfe, Suppenküchen. Helfen Sie den AktivistInnen bei Ihrer Arbeit, werden Sie RevolutionspatIn! 

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