Vielfältiger ziviler Widerstand, Schuldgefühle der Exilanten, türkisch-syrische Spannungen – Netzschau 09. Oktober

Während seit Mittwoch die Lage an der türkisch-syrischen Grenze angespannt ist – am Montag antwortete die Türkei erneut militärisch auf syrische Granateneinschläge – wächst international die Sorge vor einem regionalen Flächenbrand. So äußerte auch Ban Ki-Moon, das “katastrophale Ausmaß” der Lage in Syrien gefährde die regionale Stabilität. Ferner sprach er sich erneut gegen Waffenlieferungen aus: […]

Während seit Mittwoch die Lage an der türkisch-syrischen Grenze angespannt ist – am Montag antwortete die Türkei erneut militärisch auf syrische Granateneinschläge – wächst international die Sorge vor einem regionalen Flächenbrand. So äußerte auch Ban Ki-Moon, das “katastrophale Ausmaß” der Lage in Syrien gefährde die regionale Stabilität. Ferner sprach er sich erneut gegen Waffenlieferungen aus: “Die Militarisierung des Konflikts verschlimmert die Lage nur.”

Ganz andere Vorstellungen hat derzeit Mitt Romney. Im Versuch, sich im US-Wahlkampf ein außenpolitisches Profil zu verschaffen, schlägt Romney die stärkere Bewaffnung der syrischen Rebellen vor aus geopolitischem Machtkalkül. Ihm geht es um einen Stellvertreterkrieg gegen Iran, ausgetragen in Syrien. Nach einem Sieg der Rebellen hätten die USA durch die Waffenlieferungen praktischerweise gleich einen Stein im Brett – nach dem neokonservativen Kalkül Romneys.

Die New York Times widmete sich kürzlich in zwei Artikeln der Frage der Waffen und westlichem Handeln. Anders als oft behauptet, halten auch Saudi-Arabien und Qatar größere Waffenlieferungen an die Rebellen zurück und stützen sich dabei auf die Vorbehalte der USA. Diese staatliche Zurückhaltung führt laut NYT zu zwei Dingen: einem militärischen Patt und dem verstärkten Einmischen von Jihadisten aus dem Golf in Syrien. Dass die westliche Passivität auf die Syrer fatale Folgen hat, äußert auch ein Deserteur und Rebellenkommandeur: “The Syrian people are being radicalized by a combination of a grinding conflict and their belief that they have been abandoned by a watching world.”

Dass trotz der Militarisierung friedlicher ziviler Widerstand wichtig und möglich ist, zeigt Nabd (Puls) – der Zusammenschluss der zivilen syrischen Jugend. Wie die BBC in einem lesenswerten Artikel berichtet, liegen die Anfänge von Nabd in Homs; mittlerweile ist die Gruppe jedoch auch in Damaskus, Lattakia oder der Stadt Salamiya (zwischen Hama und Homs) aktiv. Überkonfessionell protestiert Nabd friedlich gegen das Regime, dabei liegt der Fokus auf der syrischen Einheit. Nabd setzt kreativ sowohl der spaltenden Regime-Rhetorik als auch der sektiererischen Hetze der Jihadisten seine Proteste entgegen. Die Gründer von Nabd betonen, wie wichtig die Aktionen der verschiedenen Minderheiten sind. Die Medien porträtieren die Revolution oft pauschal als sunnitische oder islamistische Revolution, was den Aktivisten Unrecht tut und dem Regime in die Hände spielt. Ein Beispiel für die Arbeit von Nabd kann man hier anschauen: beim gestrigen Protest in Rukn Al-Din, einem vorwiegend kurdischen Stadtteil von Damaskus, waren Aktivisten von Nabd beteiligt.

Wie ziviler Widerstand in Damaskus noch aussehen kann, zeigt dieses Video. Die Inhalte der lokalen Untergrundzeitung “Ahed al-Sham” sowie die Arbeit der Betreiber werden dargestellt. “Ahed al-Sham” ist eine der vielen neu entstandenen Zeitungen Syriens. Die Ausgaben der Zeitung gibt es hier. Aktuelle Bilder von Damaskus liefert täglich “Lens Young Dimashqi“. Oft zu sehen sind Bilder von Demos und anderen Formen zivilen Widerstands.

In neuesten Artikel für den ARTE-Blog schildert die Aktivistin Razan Ghazzawi Gründe ihres Bleibens – oder der Flucht aus Syrien. Eine Taktik des Regimes scheint zu sein, massenhaft junge Aktivisten in Panik aus dem Land zu treiben, während andere erst recht bestärkt werden, zu bleiben: “A country is not a hotel to be abandoned when the service gets bad – we will persevere.”

Andere Nachrichten: Der aktuelle Chef des SNC, Abdelbasset Sayda, hat sich am Montag in Syrien kurz mit Vertretern der FSA getroffen. Zuvor sollen bereits andere SNC-Mitglieder zu ähnlichen Stippvisiten dagewesen sein. Gerüchte besagen abermals, Assad bereite die Flucht nach Russland vor. Am Wochenende schlug der türkische Außenminister Davutoglu vor, der syrische Vizepräsident Farouq al-Sharaa solle Chef einer Übergangsregierung werden. Laut Davutoglu kenne al-Sharaa das System, sei aber nicht an Massakern beteiligt gewesen. Fraglich, was die Syrer von so einem Ratschlag halten…

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